Frei-/Kirchen
Prof. Mayer: Bonhoeffer gehört weder Evangelikalen noch Liberalen
31.03.2020
Wetzlar (idea) – Vor Einseitigkeiten, Klischees und Vereinnahmungen im Umgang mit dem Erbe des Theologen und Widerstandskämpfers Dietrich Bonhoeffer (1906–1945) hat der Theologieprofessor Rainer Mayer (Stuttgart) gewarnt. Anlass ist der 75. Todestag Bonhoeffers. Er wurde am 9. April 1945 im Konzentrationslager Flossenbürg ermordet. Zum Streit verschiedener Autoren und theologischer Strömungen zur Frage, wem Bonhoeffer gehört, schreibt Mayer in einem Beitrag für die Evangelische Nachrichtenagentur idea (Wetzlar): „Er gehört nicht den Evangelikalen, nicht den Liberalen, nicht den ‚Rechten‘ und nicht den ‚Linken‘.“ Mit solchen Klischees könne man „das für uns wichtige Erbe Bonhoeffers nur verfehlen“. Dieser gehöre Jesus Christus. Mayer verweist auf eine Gedenktafel in Flossenbürg, die der bayerische Landesbischof Hermann Dietzfelbinger (1908–1984) anbringen ließ. Die Inschrift lautet: „Dietrich Bonhoeffer – ein Zeuge Jesu Christi unter seinen Brüdern“. Diese Gedenktafel fasse am besten das Vermächtnis des Theologen zusammen, so Mayer. Bonhoeffer habe „ein Nachfolger und Zeuge Jesu Christi in wirrer Zeit“ sein wollen – „nichts anderes, nicht mehr und nicht weniger!“.
Ein „evangelischer Heiliger“
Mayer zufolge hatte Bonhoeffer im Blick auf sein eigenes Leben eine „prophetische Ader“. Zum Beispiel sei mehrfach bezeugt, dass er schon in jüngeren Jahren die Vermutung ausgesprochen habe, keine 40 Jahre alt zu werden. In einer Predigt über Kolosser 3,1-4 habe er am 19. Juni 1932 gesagt: Wir müssen uns nicht wundern, „wenn auch für unsere Kirche wieder Zeiten kommen, wo Märtyrerblut gefordert wird. Aber dieses Blut ... wird nicht so unschuldig und leuchtend sein wie jenes der ersten Zeugen.“ Mayer: „In diesem Sinne ist Bonhoeffer ein ‚evangelischer Heiliger‘ geworden. Aber nicht im Sinne eines moralischen Perfektionismus, sondern im Sinne eines gerechtfertigten Sünders.“ Darum sei es falsch, „sich in einer platten, banalen, selbstgerechten Weise auf Bonhoeffer zu berufen, wie es heute oft geschieht“.
Kirche passte sich damals wie heute an den „Mainstream“ an
Mayer zieht in seinem Beitrag auch geschichtliche Parallelen: „Die Gefährdung der Kirche geschah zur NS-Zeit in erster Linie durch den Angriff von außen; heutzutage geschieht sie in erster Linie durch den Verfall von innen, der sich schließlich – damals wie heute in gleicher Weise – als kurzschlüssige Anpassung an staatliche und gesellschaftliche Entwicklungen auswirkt.“ Kirche wolle heute auf der Höhe der Zeit bleiben, im sogenannten „Mainstream“ (Hauptstrom) mitschwimmen und dadurch ihre Zukunft sichern. Mayer: „Das ist bei allen äußeren Unterschieden die Parallele zwischen der von Bonhoeffer kritisierten Reichskirche und der heutigen kirchlichen Situation.“ Der 1941 geborene Mayer lehrte zuletzt Systematische Theologie und Religionspädagogik an der Universität Mannheim.
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