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Entsteht ein weiterer evangelikaler Dachverband?
08.01.2016
Wetzlar (idea) – Kommt es zur Gründung eines weiteren evangelikalen Dachverbandes neben der Deutschen Evangelischen Allianz? Diese Frage stellt sich angesichts des Vorschlags des Evangelisten Ulrich Parzany (Kassel), ein deutschlandweites „Netzwerk Bibel und Bekenntnis“ ins Leben zu rufen. Er hat für den 23. Januar über 60 evangelikale Vertreter nach Kassel eingeladen. Grundlage für das Gespräch ist ein Memorandum von Parzany. Darin heißt es, ein „Netzwerk Bibel und Bekenntnis“ würde ein hilfreiches Instrument sein, die Orientierung der Christen zu fördern: „Bestehende bundesweite Bewegungen haben ihre Integrationskraft verloren oder finden in den aktuell kontroversen Themen nicht zu gemeinsamen Überzeugungen und Stellungnahmen.“ Hintergrund des Vorstoßes sind Äußerungen des Vorsitzenden der Deutschen Evangelischen Allianz, Pfarrer Michael Diener (Kassel), der im Hauptamt Präses des Evangelischen Gnadauer Gemeinschaftsverbandes (Vereinigung Landeskirchlicher Gemeinschaften) ist. Diener – er gehört auch dem Rat der EKD an – hatte Evangelikale in der Tageszeitung „Die Welt“ dazu aufgefordert, selbstkritischer zu sein und neu über Homosexualität, Politik und Mission zu enken. So sollten auch praktizierende Homosexuelle Mitarbeiter in evangelikalen Gemeinden sein können. Daraufhin äußerte der frühere ProChrist-Hauptredner Parzany in einem Offenen Brief sein Unverständnis darüber, dass Diener die Evangelikalen immer wieder öffentlich kritisiere und biblische Positionen relativiere. Die Evangelische Nachrichtenagentur idea richtete zahlreiche Anfragen an Vertreter der evangelikalen Bewegung, wie sie den Vorstoß bewerten, ein „Netzwerk Bibel und Bekenntnis“ zu gründen. Die meisten lehnten aber eine Stellungnahme ab, weil sie sich nicht oder noch nicht öffentlich dazu äußern wollen.
Deutsche Evangelistenkonferenz: Bibelfremde Lehren zurückweisen
Der Vorsitzende der Deutschen Evangelistenkonferenz, der Baptistenpastor Jörg Swoboda (Buckow/Brandenburg), befürwortet einen solchen Schritt: „In Netzwerken kann man sich zwar auch verstricken. Da gibt es gewiss manches Überflüssige. Aber wenn die Orientierungslosigkeit auch unter Christen wächst und immer häufiger bibelfremde Koordinaten zu krassen Fehlurteilen führen, muss gehandelt werden.“ Ein solches Netzwerk könne „zu einem Ort gemeinsamer Vergewisserung und Überzeugungsbildung sowie der Benennung und Zurückweisung bibelfremder Lehren werden“. Denn Christen glaubten schon immer nicht nur an etwas, sondern auch gegen etwas.
Bekennende Gemeinschaften: Widerstand artikulieren
Die Konferenz Bekennender Gemeinschaften in den evangelischen Kirchen Deutschlands nennt die Anregung Parzanys „wichtig und hilfreich“. Ihr Vorsitzender, Pastor Ulrich Rüß (Hamburg), erklärte: „Die theologische Position von Michael Diener, die unklare Bekenntnishaltung des Gnadauer Verbandes und von Teilen der Evangelischen Allianz und evangelikaler Christen zu den in den Landeskirchen öffentlich vertretenen und geduldeten Irrlehren (Autorität der Bibel und Grundlagen des christlichen Glaubens) sind eine Herausforderung an alle an Bibel und Bekentnis Gebundenen, klarer und vor allem geschlossener aufzustehen und den entschiedenen Widerstand zu artikulieren und zu praktizieren.“ Es sei höchste Zeit, dass sich alle Bekennenden Gemeinschaften, Gruppen und Einzelne zusammenschließen und mit einer Stimme sprechen.“
Zweiter Vorsitzender der Allianz: In Kontroversen beieinander bleiben
Dagegen warnen führende Vertreter der Deutschen Evangelischen Allianz und des CVJM vor einem Auseinanderdriften der evangelikalen Bewegung. Der Zweite Vorsitzende der Allianz, Präses Ekkehart Vetter (Mülheim/Ruhr), ruft dazu auf, auch in Kontroversen beieinander zu bleiben. Es gelte in Liebe und Wahrheit zu diskutieren – „mit der aufgeschlagenen Bibel in der Hand und der Bitte zum Herrn der Kirche, Einheit zu wirken“. Wer sich den Grundanliegen der Allianz verpflichtet wisse, „dem wird in keinerlei pietistischem Windkanal solange der Wind um die Ohren und die Ecken und Kanten geblasen, dass er oder sie am Ende evangelikal uniform und passgenau wieder heraus kommt“. Laut Vetter – er ist Präses des Mülheimer Verbandes Freikirchlich-Evangelischer Gemeinden – ist die Einheit der Gemeinde Jesu ein hohes Gut, „zuallerst für den Herrn der Gemeinde selbst“. Dazu brauchten Christen unter anderem Geduld, Verständnis, Einfühlungsvermögen, Wahrhaftigkeit, Demut und die Fähigkeit zuzuhören. Die Liste der Attribute eines geistlichen Klärungsprozesses sei sicher noch unvollständig. Wer sich in diesem Sinne „in die auch kontroverse Diskussion begibt, dessen Weg ist um Jesu und der Einheit willen bei Bedarf durchaus lang“.
CVJM-Präses: Trennungen vermeiden
Der Präses des CVJM-Gesamtverbandes in Deutschland, Ministerialrat Karl-Heinz Stengel (Remchingen bei Karlsruhe), bringt seine Wertschätzung sowohl für Parzany als auch Diener zum Ausdruck. Man teile das Anliegen von Parzany, „das biblische Zeugnis in der gegenwärtigen Lebenswelt unreduziert zur Sprache zu bringen und den Christen in Grundfragen des Glaubens verlässliche Orientierung zu bieten“. Dies in einer verständlichen, zeitgemäßen Weise zu tun, sei von seinen Ursprüngen her das Ziel des CVJM als einer Christus- und Bibelbewegung gewesen. Gleichzeitig schätze der CVJM den Dienst von Präses Diener als Brückenbauer zwischen unterschiedlichen Kirchen und Gemeinschaften sehr. Deshalb habe man sich auch über seine Wahl in den Rat der EKD gefreut. Stengel: „Als CVJM wollen wir das gemeinsame Anliegen, Jesus Christus als Herrn und Heiland zu bekennen und Menschen in seine Nachfolge einzuladen, fördern und Trennungen vermeiden.“ Er werbe deshalb für Gespräche zwischen allen beteiligten Leitungspersönlichkeiten. Ziel solle es sein, sich auf das gemeinsame missionarische Anliegen zu besinnen und es auch im Blick auf das 500-jährige Reformationsjubiläum 2017 mit allen Kräften voranzutreiben.
Vizepräsident Gundlach: Der Kampf war letztlich vergeblich
In der Debatte um den Kurs der Evangelikalen meldete sich auch der Vizepräsident des EKD-Kirchenamtes, Thies Gundlach (Hannover), zu Wort. Zur Forderung von Parzany, den in der Kirche vertretenen und geförderten Irrlehren entschiedener zu widerstehen, sagte Gundlach dem Evangelischen Pressedienst, der Vorwurf sei weder neu noch zutreffend: „Ich sehe allerdings mit Kummer, wie schwer es diesem großartigen Prediger fällt, jenseits seiner eigenen Überzeugungen anderes als Irrlehren zu erkennen.“ Er habe persönlich aber nichts gegen den von Parzany angeregten „Bekenntnistag“ 2017: „Denn es gehört zum großen Garten Gottes, dass wir in der EKD von evangelikalen Positionen bis zu liberalen Überzeugungen viele verschiedene Glaubenshaltungen beherbergen.“ Sie wirkten dann sehr gut zusammen, wenn niemand mit der Kategorie „Irrglauben“ hantiere. Gundlach sieht sich angesichts de jetzigen Auseinandersetzung in der evangelikalen Bewegung an den innerevangelischen Streit um die Bewertung von Homosexualität in den 80er Jahren erinnert. 30 Jahre später sähen die gleichen Akteure den Glauben wieder in Gefahr: „Die Schärfe dieser Intervention heute lässt mich vermuten, dass sich darin auch viel Enttäuschung ausdrückt, weil der damalige Kampf doch letztlich vergeblich war.“
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