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Bericht

Ruanda: Versöhnung statt Rache

06.04.2024

In Mukoma im Südwesten Ruandas feiern Frauen und Kinder gemeinsam: Ein Teil kommt aus Opfer-, ein Teil aus Täterfamilien. Foto: privat
In Mukoma im Südwesten Ruandas feiern Frauen und Kinder gemeinsam: Ein Teil kommt aus Opfer-, ein Teil aus Täterfamilien. Foto: privat

Am 7. April beginnen in Ruanda die Gedenkfeierlichkeiten zum 30. Jahrestag des Völkermordes an einer Million Tutsi. 1994 töteten Angehörige der Hutu-Mehrheit in rund 100 Tagen etwa 75 Prozent der Tutsi-Minderheit. Heute gilt: „Wir sind alle Ruander.“ Von Wolfgang Reinhardt

Ein Völkermord entsteht nie spontan. Auch die Ursachen des Genozids an den Tutsi lagen weit zurück in einer „völkermörderischen“ Ideologie. Im Bahutu Manifest von 1957 hieß es, die Tutsi seien eine fremde „hamitische Rasse“. Bereits in den 60er und 70er Jahren gab es eine permanente Diskriminierung und grausame Massaker an der Tutsi-Zivilbevölkerung. Sie entflammten neu ab 1990, als die Rebellenarmee RPF gewaltsam die Rückkehr der Flüchtlinge erzwingen wollte, die ihnen 30 Jahre lang verweigert wurde.

Im folgenden Bürgerkrieg wurden alle Tutsi dämonisiert. Auch die Kirchen haben damals versagt. Die meisten Kirchenleiter unterstützten die rassistische Politik. Während des Genozids haben Priester zum Mord aufgerufen, Nonnen und Christen aller Konfessionen haben sich aktiv oder indirekt am Morden beteiligt. Es gab mutige Ausnahmen – etwa den damaligen Leiter von Africa Enterprise (AEE), Israel Havugimana, der als Hutu vor Hass und dem Weg in den Abgrund warnte. Er wurde ermordet – insgesamt starben vor 30 Jahren rund eine Million Tutsi in nur 100 Tagen.

Vergebung und Versöhnung

Die neue Regierung begann nach dem Genozid eine Politik der „Einheit und Versöhnung“ anstatt der erwarteten Rache. Diese „von oben“ angeordnete Versöhnung schuf gute Rahmenbedingungen für die vielen christlichen Initiativen „von unten“. Vergebung kann nicht eingefordert werden – etwa von den Müttern in Mukoma, deren Kinder vor ihren Augen geköpft wurden. Vergebung ist jedes Mal ein Wunder, das in Ruanda tausendfach geschieht durch die Kraft des Evangeliums – wie selbst säkulare Beobachter wie der preisgekrönte Autor Stephen Kinzer feststellten.

Die Kraft der Botschaft vom Kreuz

Der ruandische Versöhnungsexperte Antoine Rutayisire war Vizepräsident der Nationalen Kommission für Einheit und Versöhnung. Zudem war er Leiter von „Africa Enterprise Rwanda“, einer der christlichen Initiativen, die Tausenden zur Umkehr, Versöhnung und Heilung halfen. Während in Deutschland Theologen das Kreuz seiner zentralen Botschaft entleeren – mit der absurden Begründung, eine „Opfertheologie“ sei heute nicht mehr vermittelbar –, erfuhren Tausende in Ruanda die Kraft des Kreuzes. Etwa wenn Rutayisire darüber im Radio, in Stadien und überfüllten Gefängnissen sprach.

Er predigte Vergebung für die Täter, weil Jesus all unsre Bosheit am Kreuz auf sich nahm. Den Überlebenden predigte er das Kreuz Jesu, der „unsere Schmerzen auf sich lud“ und uns zur Vergebung fähig macht. So rief eine Frau, die die öffentliche Vergebung von meiner Ehefrau Denise Uwimana nicht erwartet hatte: „Oh, Denise vergibt uns, wie Jesus am Kreuz.“

Aber Vergebung ist ein Prozess, wie Rutayisire formulierte: Echte Versöhnung setze „Reue und Bekenntnis auf Seiten des Täters und Heilung und Vergebung aufseiten des Gekränkten voraus. Versöhnung sollte ein Lebensstil sein, nicht ein Ereignis.“ Sie bedeutet auch Wiedererlangung der Würde, Traumaheilung in Gemeinschaft und vielfältige Hilfe zur Selbsthilfe – z. B. wird bei den Peace Maker Women unserer Partner Schalom Ministries jeweils eine gespendete Kuh einer Frau aus der Gruppe der Überlebenden gegeben – und das Kalb dieser Kuh einer Frau aus einer Täterfamilie.

(Der Autor, Wolfgang Reinhardt forscht u. a. über den Völkermord an den Tutsi. Seit 16 Jahren ist er mit Denise Uwimana-Reinhardt verheiratet. Die Überlebende des Völkermords hat Iriba Shalom International e. V. gegründet.)

Der Autor Wolfgang Reinhardt. Foto: privat

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