Ressorts
icon-logo

Frei-/Kirchen

Fall Kentler: EKD gibt Studie in Auftrag

01.02.2023

Der Sexualwissenschaftler Helmut Kentler. Foto: Ullstein Bild
Der Sexualwissenschaftler Helmut Kentler. Foto: Ullstein Bild

Hannover (IDEA) – Die EKD will eine Studie über den kritiklosen Umgang mit dem Sexualwissenschaftler Helmut Kentler (1928–2008) in Auftrag geben. Das bestätigte ein Sprecher der EKD gegenüber der Evangelischen Nachrichtenagentur IDEA.

Hintergrund: Der auch in kirchlichen Kreisen lange Zeit angesehene Psychologe und Professor für Sozialpädagogik hatte Pflegekinder an pädophile Männer vermittelt. Von 1962 bis 1965 war er pädagogischer Referent des Studienzentrums für evangelische Jugendarbeit im bayerischen Josefstal (Schliersee). Bis 1999 war er dort jährlich für drei Wochen an Familienfreizeiten beteiligt und wurde bis 2001 zu Symposien und Fachgesprächen eingeladen.

Kentler wirkte außerdem regelmäßig auf Deutschen Evangelischen Kirchentagen mit. Er sprach und arbeitete auch an verschiedenen Evangelischen Akademien, darunter Bad Boll, Tutzing und Arnoldshain (heute: Evangelische Akademie Frankfurt). In Arnoldshain war er von 1960 bis 1962 Jugendbildungsreferent.

2021 baten der Landeskirchenrat und der Landessynodalausschuss der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern um Entschuldigung für ihren kritiklosen Umgang mit ihm. Die Initiative dafür war von der Kirchlichen Sammlung um Bibel und Bekenntnis in Bayern (KSBB) ausgegangen.

KSBB: Das gesamte Umfeld muss aufgeklärt werden

Gegenstand der neuen Studie soll „die Verharmlosung von sexualisierter Gewalt an Kindern und Jugendlichen in den Diskussionen der Sexual- und Reformpädagogik ab den 1960er Jahren“ sein. Dabei sollen neben Kentler auch weitere Personen im Fokus stehen. Geplant ist zunächst eine Vorstudie, die Fragestellung und Quellen klären soll.

Der Vorsitzende der KSBB, Andreas Späth (Windsbach/Mittelfranken), begrüßte gegenüber der Evangelischen Nachrichtenagentur IDEA das Vorhaben. Weiter sagte Späth, die EKD müsse allerdings auch einen Schritt weitergehen und sich mit dem bis in die Gegenwart reichenden Einfluss der pädosexuellen Netzwerke um Kentler auseinandersetzen. „Das gesamte Umfeld muss aufgeklärt werden“, so Späth.

Kentler missbrauchte selbst Jugendliche

Kentler hatte in seiner Funktion als Leiter des Pädagogischen Zentrums Berlin im Rahmen des sogenannten „Kentler-Experiments“ Pflegekinder an pädophile Männer vermittelt. Er wollte vorgeblich prüfen, ob die Jugendlichen durch diese Männer sozial gefestigt würden. Seit Ende der 60er Jahre bis mindestens 2003 hatten somit Berliner Jugendämter auf Betreiben von Kentler Kinder wissentlich an vorbestrafte pädophile Pflegeväter vermittelt. Dabei war es zu sexuellem Kindesmissbrauch gekommen.

Nach einem Bericht der Universität Hildesheim missbrauchte Kentler auch selbst Jugendliche. Bei den Betroffenen handelte es sich um straffällig gewordene junge Menschen aus der Jugendstrafanstalt Plötzensee, die Kentler in seine Berliner Wohnung „holte“, noch bevor sie ihre Strafe abgesessen hatten. Die Jugendlichen stammten überwiegend aus schwierigen Familienverhältnissen. Der Einzug bei Kentler wurde als „Maßnahme der Resozialisierung“ bezeichnet, für die ihnen stets ein Teil der Haftstrafe erlassen wurde.

Hat Ihnen dieser Artikel gefallen?

IDEA liefert Ihnen aktuelle Informationen und Meinungen aus der christlichen Welt. Mit einer Spende unterstützen Sie unsere Redakteure und unabhängigen Journalismus. Vielen Dank. 

Jetzt spenden.

4 Wochen IDEA Digital 8,50 Euro 1,00 Euro

Entdecken auch Sie das digitale Abo mit Zugang zu allen Artikeln auf idea.de