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Kommentar

Jesus als Brücke zwischen Christentum und Islam?

05.01.2021

Der Islamwissenschaftler Carsten Polanz von der Freien Theologischen Hochschule Gießen. Foto: privat
Der Islamwissenschaftler Carsten Polanz von der Freien Theologischen Hochschule Gießen. Foto: privat

Selbstverständlich könne man Muslimen frohe Weihnachten wünschen: Diese Ansicht vertrat der österreichische Soziologe und muslimische Theologe Mouhanad Khorchide Ende Dezember in einem Interview mit dem katholischen Sender domradio.de. Darin beschrieb der Leiter des Zentrums für Islamische Theologie in Münster Jesus als „Brücke zwischen dem Christentum und dem Islam“. Jesus stehe im Koran „viel mehr im Zentrum als Mohammed selbst“. Ihm ginge es nicht darum, dass Muslime Christen werden, sondern dass sie sich die einzigartige Würdigung der Person Jesu im Koran in Erinnerung rufen. Dazu ein Kommentar des Islamwissenschaftlers Carsten Polanz von der Freien Theologischen Hochschule (FTH) Gießen.

Christen können sich natürlich freuen, wenn sich Muslime intensiver mit Jesus beschäftigen. In seinem gemeinsam mit dem katholischen Theologen Klaus von Stosch 2018 veröffentlichten Buch „Der andere Prophet: Jesus im Koran“ weist Khorchide das traditionelle islamische Dogma einer christlichen Schriftverfälschung als unsachgemäß zurück. Gerade das hält viele seiner Glaubensgeschwister weltweit bis heute von einer persönlichen Auseinandersetzung mit den Evangelien ab. Nicht nur in dieser Frage schwimmt Khorchide mutig – und aufgrund salafistischer Morddrohungen zeitweise unter Lebensgefahr – gegen den Strom des traditionellen Mainstream-Islam. Mit seiner „Theologie der Barmherzigkeit“ will er den Weg zu einer humanistischen Koranauslegung ebnen und die Scharia als spirituellen Weg zu Gott deuten und nicht länger als Rechtssystem, das Frauen und Nicht-Muslime diskriminiert und Konvertiten mit dem Tod bedroht. Christen sollten solche Alternativen zu salafistischer Hetze wertschätzen, ohne die gegenwärtigen Kräfteverhältnisse im innerislamischen Diskurs auszublenden.

Was der Koran über Jesus sagt

Khorchide ist freilich nicht der erste muslimische Dialogvertreter, der auf die besondere Wertschätzung des Propheten Isa (so der Name Jesu im Koran) aufmerksam macht. Demnach ist Isa im Diesseits und Jenseits angesehen (Sure 3,45), wurde als Zeichen für die Menschen von einer Jungfrau geboren (19,20f.) Er wird als Wort der Wahrheit (19,34), als nicht näher definierter Messias und in Sure 4,171 auch als Geist und Wort von Allah bezeichnet, allerdings nicht im Sinne des Johannesprologs. Er schaffte – mit Allahs Erlaubnis – Leben, heilte Kranke und weckte Tote auf (5,110), kam mit klaren Beweisen (43,63) und wurde direkt zu Allah in den Himmel erhoben (4,158). Bemerkenswert ist auch die Betonung seines reinen Wesens (19,19), wenn man bedenkt, dass Mohammed – im Widerspruch zum späteren Dogma von der Sündlosigkeit aller Propheten – im Koran mehrfach um Vergebung bitten muss.

Welche tiefgreifenden Unterschiede es gibt

All dies ist auf den ersten Blick erstaunlich und kann in der Tat als Brücke dienen. Gerade in jüngerer Zeit haben diese Verse viele Muslime zu einer intensiveren Beschäftigung mit dem Jesus der biblischen Evangelien angeregt. Ein genauerer Blick auf den koranischen Gesamtkontext und die weichenstellenden Auslegungen der Jesus-Verse offenbart allerdings auch tiefgreifende Unterschiede. Jesus wird schon im Koran – wie Abraham, Mose und andere biblische Propheten – ganz dem islamischen Paradigma angepasst. Er erscheint hier als Vorläufer und Ankündiger Mohammeds, als ein Muslim, der sich allein Allah unterworfen hat. Die biblisch bezeugte Gottessohnschaft wird biologisch-sexuell und die Trinität als Dreigötterglaube (Gott-Vater, Gottesmutter Maria und Gottessohn Jesus) (miss-)verstanden und im Namen der absoluten Einheit (tauhid) Allahs scharf verurteilt. Wenn im Koran vom Evangelium (indschil) die Rede ist, dann geht es nicht um die frohe Botschaft des gekreuzigten und auferstandenen Christus, in dem sich Gott selbst als liebender Vater offenbart, um zu suchen und zu retten, was verloren ist. Das im Koran mit Licht und Barmherzigkeit assoziierte Evangelium ist vielmehr die Botschaft der Rechtleitung schwacher und verführbarer, aber grundsätzlich zum Guten fähiger Menschen, wie sie später auch Mohammed verkündigt hat. Vor diesem Hintergrund ist Jesus im Koran für die meisten Christen und Muslimen keineswegs so zentral, wie es Khorchide nahelegt.

Was heute zählt

Das friedliche Zusammenleben von Christen und Muslimen hängt heute nicht von theologischen Harmonisierungen ab. Vielmehr gilt es im Dialog, gemeinsame Begriffe und verbindende Fragestellungen ernst zu nehmen, aber auch unüberbrückbare Differenzen offen anzusprechen und respektvoll auszuhalten.

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