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Infektionsschutzgesetz: Drohen weitere Eingriffe in die Grundrechte?

17.11.2020

Welche Schritte nötig sein könnten, wird darin einzeln aufgelistet werden – etwa Kontaktbeschränkungen und Abstandsgebote oder Maskenpflicht im öffentlichen Raum. Foto: unsplash.com
Welche Schritte nötig sein könnten, wird darin einzeln aufgelistet werden – etwa Kontaktbeschränkungen und Abstandsgebote oder Maskenpflicht im öffentlichen Raum. Foto: unsplash.com

Berlin (idea) – Auf geteilte Reaktionen in Politik, Medizin, Justiz und christlichen Kreisen stößt ein Gesetzentwurf, über den Bundestag und Bundesrat am 18. November (Buß- und Bettag) abstimmen werden. Es geht um Änderungen beim Infektionsschutzgesetz.

Weil es rechtliche Bedenken zu den Verordnungen in der Corona-Krise gab, will die Große Koalition das Gesetz anpassen. So soll ein neuer Paragraf 28a eingefügt werden, der „besondere Schutzmaßnahmen“ gegen die Corona-Verbreitung regelt.

Welche Schritte nötig sein könnten, wird darin einzeln aufgelistet werden – etwa Kontaktbeschränkungen und Abstandsgebote oder Maskenpflicht im öffentlichen Raum. Genannt werden auch Untersagungen, Beschränkungen oder Schließungen von Geschäften und Veranstaltungen.

In einer von den Koalitionsfraktionen überarbeiteten Neufassung, die dem ZDF vorliegt, finden sich weitere Änderungen im Detail. So ist eine Definition der „epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ neu eingefügt worden. Eine solche Lage muss demnach der Bundestag beschließen.

Bei den möglichen Maßnahmen wird klargestellt, dass Demonstrationen oder religiöse und weltanschauliche Zusammenkünfte nur dann beschränkt werden dürfen, wenn ohne diese Maßnahmen „eine wirksame Eindämmung“ nicht gewährleistet werden könne.

Der Kern des neuen Paragrafen aber bleibt: So sollen sich die Schutzmaßnahmen weiterhin am Infektionsgeschehen ausrichten. Für „stark einschränkende Schutzmaßnahmen“ soll ein Schwellenwert von 35 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen gelten, für „schwerwiegende Schutzmaßnahmen“ liegt der Wert laut ZDF bei 50 Neuinfektionen.

WerteUnion: Rechtsstaat geht vor Infektionsschutz

Die konservative Basisbewegung „WerteUnion“ sieht in dem Entwurf verfassungsrechtliche Mängel und fordert Anpassungen. Der Bundesvorsitzende der Bewegung, Alexander Mitsch (Plankstadt), kritisiert, dass das geplante Gesetz Länder und Parlamente ignoriere und viele Begriffe nicht bestimmt würden.

Mitsch: „Rechtsstaat geht vor Infektionsschutz.“ Der verfassungspolitische Sprecher der Linken, der Jurist Niema Movassat, sprach gegenüber „Legal Tribune Online“ von den „schärfsten, grundrechtsintensivsten Maßnahmen seit Bestehen des Grundgesetzes, und die Koalitionsfraktionen betreiben trotzdem weiter politisch Schindluder“.

Die Juristin Andrea Kießling von der Ruhr-Universität Bochum hatte in einem Gutachten geschrieben, dass die Vorschrift im Paragrafen 28a keinerlei Abwägung der grundrechtlich betroffenen Interessen erkennen lasse. Gerichte würden die Vorschrift höchstwahrscheinlich nicht als Rechtsgrundlage akzeptieren.

Steeb: Entscheidungskriterien fehlen

Kritik am Gesetzentwurf übt der frühere Generalsekretär der Deutschen Evangelischen Allianz, Hartmut Steeb (Stuttgart). Das Gesetz lasse vieles im Unklaren, sagte Steeb der Evangelischen Nachrichtenagentur idea: „Welche Kriterien müssen erfüllt sein, um eine epidemische Notlage festzulegen?“

In der Pandemie gebe es bisher weniger Tote als 2019 und 2018. Das Durchschnittsalter der an Corona Verstorbenen betrage 82 Jahre, während das Durchschnittsalter der 2019 Verstorbenen „nur“ 79 Jahre gewesen sei. Steeb: „Das alles spricht dafür, dass es diese Notlage nicht gibt.“

Auch wann eine Infektion vorliege, sei völlig unklar, weil es keine normierten Testverfahren gebe: „Wer positiv auf das Coronavirus getestet wurde, hat nicht unbedingt eine Infektion.“ Die Kollateralschäden der Infektionsmaßnahmen seien größer als der Nutzen: „Die Wirksamkeit der Maßnahmen ist nicht nachgewiesen.“ Steebs Fazit: „Einer Regierung, die solche Maßnahmen verordnet, darf man nicht noch mehr Handlungsspielraum geben.“

Pfarrer: Stimme für die Wahrung der Grundrechte erheben

Der evangelische Pfarrer Thomas Stiehl (Tannenberg/Erzgebirge) schrieb in der „Freien Presse“, es sei „notwendig, unsere Stimme für Gerechtigkeit und Freiheit, für die Wahrung unserer Grundrechte zu erheben. Denn diese sollen gerade in Windeseile aus den Angeln gehoben werden.“ Das Wächteramt der Kirche sei gefragt. Der Vorsitzende der christlichen Stiftung „Cornhouse International“, Thomas Hettinger (Bietigheim-Bissingen), bat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in einem Offenen Brief, das Gesetz nicht zu unterschreiben. Mit einer Änderung des Infektionsschutzgesetzes würden die Grundrechte der Freiheit der Person, der Versammlungsfreiheit, der Freizügigkeit und der Unverletzlichkeit der Wohnung eingeschränkt. Aus Sicht des christlichen Finanzmaklers Willi Funk (Bruchsal) hebelt das Gesetzesvorhaben das Grundgesetz faktisch aus. Deshalb müssten gerade auch Christen am 18. November in Berlin gegen das Vorhaben demonstrieren, so Funk gegenüber idea.

„Wächterruf“: Gebet um „göttliche Weisheit für unsere Abgeordneten“

Der Leiter der überkonfessionellen Gebetsbewegung „Wächterruf“, Alexander Schlüter (Zell unter Aichelberg), schrieb in einem Sonderblatt der Bewegung, dass aktuell das Bewusstsein wachse, „dass im Zuge der weltweiten Vernetzung und Digitalisierung die Schaffung anti-christlicher Strukturen bis hin zu einer ,Eine-Welt-Regierung‘ immer näher rückt“.

Schlüter weiter: „Der geistliche Kampf zwischen Licht und Finsternis wird weiterhin zunehmen.“ Schlüter ruft auf, um „göttliche Weisheit für unsere Abgeordneten im Umgang mit dem im Grundgesetz verbrieften Freiheitsrecht“ zu beten sowie dafür, dass das Grundgesetz nicht angetastet wird und dass im „größtmöglichen Rahmen auch bei Pandemien unsere Freiheitsrechte erhalten bleiben“.

Initiative „Gottes Haus“ ruft zum Beten und Fasten auf

Zum Gebet und Fasten ermutigten die Initiatoren des charismatisch geprägten „Ermutigungsdienstes Gottes Haus“, Sigrid und Martin Baron (Rotenburg/Fulda). Nach ihrer Ansicht ist das neue Gesetz so gestrickt, „dass es zentrale Grundrechte massiv einschränke“, erläutern sie in einem YouTube-Video, das seit dem 15. November bereits über 110.000-mal angeklickt wurde. Martin Baron war früher Büroleiter des Missionswerks „Christus für alle Nationen“ des pfingstkirchlichen Evangelisten Reinhard Bonnke (1940–2019).

Ökumenische Arbeitsgemeinschaft: Das Gesetz verhindert die Diktatur und erzeugt sie nicht

Der Sprecher der ökumenischen Arbeitsgemeinschaft Kirche für Demokratie und Menschenrechte, Harald Lamprecht (Dresden), äußerte auf deren Internetseite, dass das Gesetz im Hinblick auf Dauer, Reichweite und Intensität die möglichen Grundrechtseinschränkungen präzisiere.

Bei Unterschreitung der Werte seien die Maßnahmen nicht mehr angemessen. Damit erschwere das neue Gesetz, „dass möglicherweise eine künftige korrupte Regierung unter Verweis auf dieses Gesetz ganz andere und unangemessene Maßnahmen durchdrückt“.

Das Gesetz diene dem Erhalt und der Stabilität der Demokratie in Deutschland. Es verhindere die Diktatur und erzeuge sie nicht, betonte Lamprecht. Er ist Beauftragter für Weltanschauungs- und Sektenfragen der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens und Geschäftsführer des Evangelischen Bundes in Sachsen.

Kein „Ermächtigungsgesetz“

Der Vorsitzende des Evangelischen Arbeitskreises der CDU in Baden-Württemberg, David Müller (Winnenden), wies auf seiner Seite „wertepolitik.de“ die Vorwürfe zurück, dass es sich um ein „Ermächtigungsgesetz“ handele, das die „Grundrechte umfassend“ aushebele.

Das Infektionsschutzgesetz gestatte der Bundesregierung und den Landesregierungen schon jetzt, notwendige Schutzmaßnahmen auch durch Rechtsverordnungen auf den Weg zu bringen. Daran ändere der vorliegende Entwurf nichts.

In den vergangenen Wochen sei aber deutlich geworden, dass das Infektionsschutzgesetz in der alten Fassung nicht alle Anforderungen der Pandemie-Bekämpfung im Jahr 2020 erfülle. Es gehe nur darum, mit dem neuen Gesetz den gesetzlichen Rahmen an die Corona-Pandemie anzupassen. Es verfolge das Ziel, das Funktionieren des Gesundheitswesens in einer epidemischen Lage sicherzustellen.

Allianz-Beauftragter Heimowski: Fürchtet euch nicht

Zu mehr Gelassenheit in der Debatte rief der Beauftragte der Deutschen Evangelischen Allianz am Sitz des Bundestages und der Bundesregierung, Uwe Heimowski (Berlin), auf. Er schrieb auf Facebook: „Was allein an diesem Wochenende an Panikmache, an Unterstellungen und Verdrehungen per E-Mail, WhatsApp und auf Socialmedia verbreitet wird, hat mit dem Geist der Wahrheit, dem Gott des Friedens und der Botschaft von Christus, dem ‚Fürchtet euch nicht, euch ist heute der Retter geboren‘, wenig bis gar nichts zu tun.“

Heimowski verwies auf ein Wort des Apostels Paulus, das es jetzt zu beachten gelte: „Gott hat uns nicht gegeben einen Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit“ (2. Timotheus 1,7).

Gegenüber idea rief er Christen dazu auf, nicht bei Beschimpfungen, Beleidigungen und Unterstellungen mitzumachen: „Bitte geht segnend mit den Regierenden um, wie es uns in 1. Timotheus 2,1 geboten ist, und betet für sie. Kämpft den guten Kampf des Glaubens als Gebetskampf.

Wer das Leben als gute Gabe Gottes sieht, den bitte ich zu verstehen, dass das Grundrecht auf Unversehrtheit des Lebens durch das neue Gesetz geschützt wird – andere Grundrechte müssen dem gegenüber befristet und begründet zurückgestellt werden.“

Thorsten Frei (CDU): Bundestag kann die Befugnisse jederzeit wieder an sich ziehen

Der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Thorsten Frei, vertrat derweil am 17. November in einer Pressemitteilung die Ansicht, dass die Schutzmaßnahmen zum Teil tief in die Grundrechte eingriffen.

Durch das Gesetz sorge man dafür, dass diese Eingriffe auf einem verlässlichen Fundament stünden: „Der Deutsche Bundestag kann die erteilten Befugnisse jederzeit wieder an sich ziehen, indem er entweder die epidemische Lage von nationaler Tragweite für beendet erklärt oder indem er das Infektionsschutzgesetz ändert.“

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