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Assistierter Suizid: Diakonie-Präsident Lilie verteidigt Vorstoß

15.01.2021

Der Präsident der Diakonie Deutschland, Ulrich Lilie. Foto: Diakonie/ Thomas Meyer
Der Präsident der Diakonie Deutschland, Ulrich Lilie. Foto: Diakonie/ Thomas Meyer

Berlin (idea) – Der Präsident der Diakonie Deutschland, Ulrich Lilie (Berlin), hat den Beitrag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (Ausgabe 11. Januar) zum assistierten Suizid verteidigt. Lilie sowie der Vorsitzende der Kammer für öffentliche Verantwortung der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), der Theologieprofessor Reiner Anselm (München), und die Theologieprofessorin Isolde Karle (Bochum) hatten dafür plädiert, einen assistierten Suizid auch in kirchlich-diakonischen Einrichtungen zu ermöglichen.

„Viele, zum Teil heftige Reaktionen“

Lilie schreibt auf seinem Blog, dass der Beitrag „viele, zum Teil heftige Reaktionen“ ausgelöst habe. Für viele scheine es „fast unerträglich“, an dem Thema zu rühren. Auch wenn er das verstehe, scheine es ihm wenig hilfreich, „sich in der aktuellen Situation hinter eine quasi unangreifbare Position des Lebensschutzes zurückzuziehen“.

Der Meinungsstreit werde nun ähnlich intensiv sein wie Anfang der 90er Jahre die Debatten um den Abtreibungsparagrafen 218. In der Frage des assistierten Suizids werde man erneut damit konfrontiert, „dass wir uns in einem hochkomplexen Zusammenhang von Schuld befinden, aus dem es kein Entkommen gibt“.

Niemand wird gezwungen werden

Die Diakonie setze sich für eine bestmögliche Suizid-Prävention ein. Er wolle es aber akzeptieren, wenn ein todkranker Mensch seinem Leben ein Ende setzen wolle, so Lilie: „Es ist vorstellbar, meine ich, und kann unter dem Dach der Diakonie auch möglich sein, diese Menschen zu begleiten.“ Es gebe dabei auch um die Frage, „wie wir es mit der Achtung der Freiheit und Selbstbestimmung dieser Menschen halten wollen“.

Innerhalb der Diakonie werde es auch in dieser Frage „immer einen gewissen Pluralismus geben“: „Ganz sicher aber wird niemand in unseren Teams je dazu gezwungen werden, sich an einer Begleitung oder einer Assistenz zum Sterben zu beteiligen.“

Bedford-Strohm: Für den Schutz des Lebens einsetzen

Die Stellungnahme war in den beiden großen Kirchen, der Deutschen Evangelischen Allianz, beim (katholischen) Caritasverband, dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) und bei Lebensschutzverbänden vielfach auf Kritik gestoßen. Gegenüber dem „heute-journal“ (ZDF/14. Januar) sagte der EKD-Ratsvorsitzende, Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm (München): „Ich entnehme dem Fünften Gebot ,Du sollst nicht töten‘ schon einen klaren Auftrag, sich für den Schutz des Lebens einzusetzen. Und deswegen sollten wir uns nicht an der organisierten Hilfe zum Suizid beteiligen.“

Der CDU-Bundestagsabgeordnete Alexander Krauß (Schwarzenberg/Erzgebirge) forderte Lilies Rücktritt. Es sei eine Bankrotterklärung, Altersschwache und Kranke durch Menschenhand ins Jenseits befördern zu wollen. Auch der Vorsitzende der Kirchlichen Sammlung um Bibel und Bekenntnis in Bayern, der Religionspädagoge Andreas Späth (Sachsen bei Ansbach), forderte personelle Konsequenzen.

Theologieprofessor: Das ist trostlos und zynisch

Der evangelische Theologieprofessor Ralf Frisch (Nürnberg) verwies auf zeitzeichen.de auf die Rolle der Kirche in der Corona-Krise. Es sei oft beklagt worden, dass die evangelische Kirche in ihren öffentlichen Verlautbarungen „geistlich merkwürdig sprachlos“ geblieben sei und letztlich nichts anderes gesagt habe als das, was man auch von der Bundeskanzlerin, dem Bundespräsidenten und den Ministerpräsidenten der Bundesländer hören konnte: „Jetzt setzen drei Protagonisten dieser Kirche gleichsam noch einen drauf.“

Sie eröffneten „in einer Zeit tiefer gesellschaftlicher und persönlicher Orientierungslosigkeit, transzendentaler Obdachlosigkeit und Immanzenzverzweiflung vieler Menschen, die mürbe, gepeinigt, krank und in ihrer wirtschaftlichen und sozialen Existenz gefährdet sind und weder ein noch aus wissen, den theologisch abgesegneten Ausweg der assistierten Selbsttötung im Raum der Suizidagentur Kirche.“ Das sei trostlos und zynisch.

„Tagespost“: Welche Drogen haben Anselm und Lilie eingeworfen?

Auch in den Medien stieß der Beitrag vielfach auf Kritik. Der Tagesspiegel (Berlin) schrieb: „Der Streit wird bald in aller Schärfe darum gehen: Ist der Mensch von Gott aufgerufen, auch sein eigenes Leben zu heiligen, muss Kirche ihm helfen, so es irgend geht, Lebensmüdigkeit zu überwinden. Kann Beratung da ergebnisoffen sein? Kann Selbsttötung ein quasi ,normaler‘ Vorgang für ein Lebensende werden, mit Hilfe der Kirche? In der evangelischen zumal rumort es. Es wird politisch werden: Im Mittelmeer und in der Coronakrise soll jedes Leben gerettet werden, ist jedes heilig, aber das des Lebensmüden nicht?“

Die katholische „Tagespost“ (Würzburg) äußerte: „Man wüsste gerne, welche Drogen der Vorsitzende der Evangelischen Kammer für öffentliche Verantwortung der EKD, Reiner Anselm, und der Präsident der evangelischen Diakonie, Ulrich Lilie, da eingeworfen haben. Denn dass bei klarem Verstand sein kann, wer fordert, kirchliche Einrichtungen, sollten sich dem assistierten Suizid nicht nur nicht verweigern, sondern auch ,abgesicherte Möglichkeiten‘ eines solchen ,in den eigenen Häusern‘ anbieten oder zumindest ,zulassen und begleiten‘, ist kaum vorstellbar.“

Der Deutsche Bundestag hatte 2015 die geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung unter Strafe gestellt. Das Bundesverfassungsgericht erklärte diese Regelung im Februar für verfassungswidrig. Begründung: Das allgemeine Persönlichkeitsrecht umfasse auch das Recht auf selbstbestimmtes Sterben. Dieses Recht schließe die Freiheit ein, sich das Leben zu nehmen und hierbei auf die freiwillige Hilfe Dritter zurückzugreifen. Der Bundestag muss nun erneut über eine gesetzliche Regelung beraten.

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