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Menschenrechte

„Kentler-Experiment“: Es gab ein weitreichendes Netzwerk

17.06.2020

Jahrzehnte lang hatten Berliner Jugendämter Kinder und Jugendliche an vorbestrafte pädophile Pflegeväter vermittelt. Symbolfoto: pixabay.com
Jahrzehnte lang hatten Berliner Jugendämter Kinder und Jugendliche an vorbestrafte pädophile Pflegeväter vermittelt. Symbolfoto: pixabay.com

Berlin (idea) – In das sogenannte „Kentler-Experiment“ waren mehr Personen eingebunden, als bislang bekannt gewesen ist. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie, die den sexuellen Missbrauch an jugendlichen Pflegekindern durch ihre Pflegepersonen im Zusammenhang mit der Kinder- und Jugendhilfe Berlin untersucht hat. Der Psychologe und Sexualwissenschaftler Helmut Kentler (1928–2008) hatte in seiner Funktion als Leiter des Pädagogischen Zentrums Berlin Pflegekinder an pädophile Männer vermittelt. Er wollte prüfen, ob die Jugendlichen durch diese Männer sozial gefestigt würden. Die Vorfälle sind nicht, wie bisher angenommen, allein auf Berlin begrenzt gewesen, wie die Verfasser der Studie von der Universität Hildesheim schreiben. Es habe ein weitreichendes Netzwerk pädagogischer Institutionen und gesellschaftlich angesehener Personen gegeben. Es handle sich um ein Geflecht „quer durch wissenschaftliche pädagogische Einrichtungen und die Senatsverwaltung bis hinein in einzelne Berliner Bezirksjugendämter, in dem pädophile Positionen akzeptiert, gestützt und verteidigt wurden“. Pflegekinder seien vom Land Berlin aus auch an Pflegestellen oder Einrichtungen in Westdeutschland vermittelt worden und dort ebenfalls verschiedenen Formen der Gewalt ausgeliefert gewesen. Eine bundesweite Aufarbeitung und die Übernahme von Verantwortung wird daher von den Wissenschaftlern befürwortet. In ihrem Fazit erklären sie, es handle sich um „Kindeswohlgefährdung in öffentlicher Verantwortung“.

Kentler hat regelmäßig an Deutschen Evangelischen Kirchentagen mitgewirkt

Für die von der Berliner Senatsverwaltung in Auftrag gegebene Studie hatten die Forscher über anderthalb Jahre hinweg Zeitzeugen und Opfer interviewt sowie Akten ausgewertet. Ziel der Untersuchung war es, die damaligen Verfahren und organisatorischen Ermöglichungsstrukturen sowie die Verantwortungen zu klären. Die zuständige Jugendsenatorin Sandra Scheeres (SPD) zeigte sich bei der Pressekonferenz erschüttert: „Als Land Berlin übernehmen wir Verantwortung für das Leid, das Schutzbefohlenen in öffentlicher Verantwortung angetan wurde.“ Zudem erklärte Scheeres, die Opfer sollten finanziell entschädigt werden. Derzeit klagen zwei Männer, die Ende der 80er Jahre bei einem Pädophilen untergebracht worden waren, auf Schmerzensgeld. Seit Ende der 60er Jahre bis mindestens 2003 hatten Berliner Jugendämter Kinder und Jugendliche aus schwierigen Verhältnissen auf Betreiben von Kentler wissentlich an vorbestrafte pädophile Pflegeväter vermittelt. Kentler war regelmäßig Mitwirkender auf Deutschen Evangelischen Kirchentagen, etwa 1989 in Berlin, 1987 in Frankfurt am Main, 1985 in Düsseldorf und 1979 in Nürnberg.

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