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"Jesus-Tag 2000": Die erste große Zusammenarbeit

22.05.2000

Zu einer ersten großen Zusammenarbeit zwischen pietistisch und charismatisch orientierten Christen kam es bei einer Großveranstaltung in Berlin: dem "Jesus-Tag 2000". 50.000 vor allem junge Christen nahmen an der früher "Jesus-Marsch" genannten Veranstaltung teil, bei der zeitweise auch der Berliner Bischof mitmarschierte. Die Hintergründe von Erfahrungen bei einem evangelikalen "Tag" in der deutschen Hauptstadt."Jesus für alle" verkündet das Transparent an der Siegessäule, um die sich an diesem Morgen des 20. Mai rund 50.000 Christen zum "Jesus-Tag" scharen. "Wir wollen ein Zeichen setzen in dieser Stadt, daß Jesus der Herr ist", sagt der "Altvater" der evangelikal-charismatischen Bewegung in der ehemaligen DDR, Pfarrer i.R. Paul Toaspern. "Wir beginnen unter diesem schrecklichen Denkmal", fügt er hinzu und weist auf die Siegesgöttin, die ihre goldenen Flügel in den bewölkten Berliner Himmel reckt. "Aus vergoldeten Kanonenrohren geschmiedet", merkt Toaspern an. 1873 wurde das Denkmal von Kaiser Wilhelm I. eingeweiht im Triumph der Siege über Dänemark, Österreich und Frankreich. "Wir aber wollen uns zu Jesus, dem Herrn des Friedens, bekennen", so Toaspern."Dies ist nicht unser Tag, sondern der Jesus-Tag", ruft Harald Peil, Pastor der Freien evangelischen Gemeinden, dem bunten Völkchen zu. "Wenn wir eins sind in Christus, dann können wir glaubhaft vor der Welt bekennen, daß Jesus allein der Weg, die Wahrheit und das Leben ist." Er spielt auf das jahrelange theologische Ringen an, das dazu führte, daß beim Jesus-Tag nicht nur charismatische und pfingstkirchliche Christen - wie beim letzten "Jesus-Marsch" 1994, als 75.000 durch Berlin zogen - sondern auch traditionell evangelikale Strömungen eingebunden sind. Das Spektrum im Vorstand reicht von Pfarrer Rudolf Westerheide, Referent der Deutschen Evangelischen Allianz, bis zu Rudi Pinke, Leiter des neu-charismatischen Christlichen Zentrums Frankfurt am Main, wo auch der umstrittene "Toronto-Segen" praktiziert wurde.Gesucht: Gysi für JesusDer Vorsitzende des Jesus-Tages, Keith Warrington, Leiter des charismatisch geprägten Missionswerks "Jugend mit einer Mission" in Deutschland, schwört die Menge ein: "Wir wollen Gott Vater, den Sohn und den Heiligen Geist bitten, daß er dieses Land ergreift und segnet wie noch nie. Wir wollen es gemeinsam tun - Katholiken, Evangelische, Freikirchler, Pfingstler, Neu-Charismatiker ..." Daß beim Jesus-Tag immer noch die charismatischen Farben vorherrschen, zeigt nicht nur die vorherige Distanzierung des pietistischen Evangelischen Gnadauer Gemeinschaftsverbandes und der Ludwig-Hofacker-Vereinigung. Auch ein Blick in das Jesus-Völkchen läßt es ahnen. Kinder, Jugendliche, Familien, ältere Frauen und Männer, die aus ihrer Begeisterung für Jesus keinen Hehl machen - vom christlichen Fisch-Zeichen, das sich ein Teenager auf die Stirn geschminkt hat, bis zum Banner "Wanted: Gregor Gysi for Jesus".Der bekennende Atheist indes läßt sich - obschon immer bereit, in Kirchen zu "predigen" - nicht blicken, als sich die Jesus-Marschierer, unbeeindruckt von einem ersten Regenschauer, auf den Weg gen Regierungsviertel machen. Angeführt werden sie von einer in weiß-goldene Gewänder gekleideten Gruppe von fahnenschwingenden Tänzerinnen und einer Bläsergruppe; weiter hinten reihen sich Lautsprecherwagen ein, die ohrenbetäubende Anbetungssongs verbreiten. Jubelnd ziehen die Jesus-Marschierer durchs Brandenburger Tor, mit Freudenschreien für die - wie es heißt - von Gott dem deutschen Volk wiedergeschenkte Einheit. Etwas verwundert und staunend über diese "Love Parade ohne Techno", wie eine Hauptstadt-Zeitung schreibt, stehen Touristen und Berliner am Wegesrand. Und Anhänger der sektiererischen Splittergruppe um Horst Schaffranek breiten ihre Transparente aus, auf denen sie vor Religionsvermischung und einer ihrer Meinung nach nur vorgetäuschten christlichen Einheit warnen."Dschiesus lafs juh!"Auf 25 Gebetsstationen umringen die Jesus-Marschierer in zwei Zügen die Mitte Berlins auf ihrem Weg zur Kundgebung vor dem Roten Rathaus nahe des Alexanderplatzes. Einer der bewegendsten Momente ist die Station vor der Berliner Synagoge, wo der Zug im Gedenken an die Greuel, die Deutsche, auch Christen, den Juden angetan haben, in Stille verharrt. Die Polizei bahnt den Weg; sie hat ansonsten ungewöhnlich wenig zu tun. Zwischenfälle gibt es nicht, im Gegenteil, so ein Polizeisprecher, die Jesus-Leute und die Berliner begegnen sich ausgesprochen freundschaftlich - getreu einem Transparent, das neudeutsch verkündet: "Dschiesus lafs juh!"Als Westerheide die Kundgebung unter dem Motto "Jesus ist der Herr" eröffnet, prallt die Sonne auf das Jesus-Volk. Fast alle Knie beugen sich, als Warrington dazu auffordert, daß jeder sein Leben bedenken und mit Jesus alle Mängel besprechen soll. Pfarrerin Astrid Eichler von der Geistlichen Gemeinde-Erneuerung in der EKD verweist darauf, daß der Glaube an Jesus nicht nur Folgen für das Leben jedes Einzelnen hat, sondern auch gesellschaftliche Konsequenzen. Der Mauerfall vor über zehn Jahren sei ein Gnadenerweis Gottes gewesen, aber es gebe angesichts der Resignation und Enttäuschung in den neuen Bundesländern noch viel zu tun.Keine "Charismatisierung"Ströme des Regens ergießen sich über die Menge, die sich aber von solchen Widrigkeiten nicht abschrecken läßt. Auch die, die die Arme in Anbetung nach oben strecken, verharren geduldig unter einem Meer von Regenschirmen - selbst als die Nässe zeitweilig die Tonverstärker stillegt. Rudi Pinke führt durch den Gottesdienst, wie alle sichtlich bemüht um geistliche Nüchternheit. Nur einmal geht er etwas aus sich heraus, als er von einer beginnenden Gebetsbewegung spricht, die das Land "erbeben" lasse - in der Allianzgebetswoche, in der Wächter-Bewegung, in vielen kleinen Gebetskreisen. Aber von einer "Charismatisierung", vor der einige theologisch konservative Gruppen vorher warnten, ist nicht viel zu spüren.Gemeinsamkeit gelangDie Hauptverantwortlichen des Jesus-Tages sind zufrieden. Die über 500 ehrenamtlichen Mitarbeiter aus traditionell pietistischen und charismatischen Gemeinden Berlins zeigten, daß die angestrebte Gemeinsamkeit gelungen sei, stellt der Berliner Pfarrer Axel Nehlsen, Vorstandsmitglied des Jesus-Tages und der Deutschen Evangelischen Allianz, dankbar fest. Er hofft, daß der Tag die manchmal eher etwas zurückgezogenen Berliner Gemeinden zu einem offeneren Bekenntnis motiviert. Warum ein Drittel weniger Teilnehmer zum Jesus-Tag gekommen sind als zum letzten Jesus-Marsch vor sechs Jahren, obwohl die geistliche Basis verbreitert wurde - darüber kann er vorerst nur spekulieren. Es sei ja etwas ganz Neues entstanden, meint Nehlsen, und diese neue Art der Spiritualität brauche Zeit, um verstanden zu werden und Begeisterung zu finden.1/3 weniger TeilnehmerÜber 50.000 Teilnehmer könne man ja wirklich nicht meckern, meint Warrington zu Recht. Die evangelikalen "Gemeindetage unter dem Wort" konnten selbst zu ihrer Hoch-Zeit in den achtziger Jahren nicht mehr auf die Beine bringen - und das im pietistischen Dunstkreis von Stuttgart, Siegen oder Essen und nicht im weithin atheistischen Umfeld wie in Berlin. Trotzdem lehnt es Westerheide ab, den Jesus-Tag als mögliche Fortsetzung der Gemeindetage zu betrachten: Die eher lehrhaft ausgerichteten Gemeindetage seien mit dem gebets- und bekenntnisorientierten Jesus-Tag nicht zu vergleichen.Der Bischof ging mitVor "Fundamentalismus" - wie die linksliberale Zeitung "taz" mahnt - brauchen sich die Volkskirchen nicht zu fürchten. Die Jesus-Marschierer gehören zwar sicher mehrheitlich nicht zu den großen Kirchen, aber ihnen allen ist daran gelegen, die gesamte Christenheit aus Selbstsäkularisierung und Erstarrung zu reißen - ein Anliegen, das auch der evangelische Bischof von Berlin-Brandenburg, Wolfgang Huber, und sein katholischer Amtsbruder, Georg Kardinal Sterzinsky, teilen, die den Jesus-Tag in schriftlichen Grußworten willkommen hießen. Huber ging selbst eine Teilstrecke des Jesus-Marsches mit und nahm an der Kundgebung teil.Der Jesus-Tag endete in einem großen Stadtfest vor dem Roten Rathaus mit viel moderner christlicher Musik. Was bleibt? In der deutschen Hauptstadt, in der sich nicht nur von Gottlosigkeit breit macht, sondern die sich auch - so der berlin-brandenburgische Sektenbeauftragte, Pfarrer Thomas Gandow - zu einem europäischen Sektenzentrum entwickelt, hat der Jesus-Tag zweierlei gezeigt. Erstens: Auch dies ist eine Stadt, die Gott nicht aufgegeben hat. Und zweitens: Es gibt immer noch eine Menge Menschen, die nicht nur mit Ernst, sondern auch mit Begeisterung Christen sein wollen.

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