Kommentar
Zehendner: Auch Christen verhalten sich im Netz respektlos
08.09.2023

In den Sozialen Medien wird der Ton immer rauer. Persönliche Angriffe gegen Menschen nehmen zu. Der Theologe, Autor und Musiker Christoph Zehendner (Triefenstein/Unterfranken) hat auf Facebook angekündigt, sich ab sofort von seinen bisherigen Facebook-Kontakten zu trennen, die hämisch und menschenverachtend über Politiker reden. Das hat ein großes Echo ausgelöst. IDEA hat Zehendner gebeten, seine Position zu erläutern. Er wirbt für mehr Wertschätzung in den sozialen Netzwerken.
IDEA: Sie sind überzeugt, dass der Ton in den sozialen Netzwerken vor allem gegen Politiker immer rauer wird. Woran machen Sie das fest?
Zehendner: Gegen harmlose Witzchen und Sticheleien habe ich nichts, die gab es schon immer in der Demokratie. Was mir zunehmend Bauchschmerzen bereitet, ist die respektlose, menschenverachtende Polemik gegen Einzelpersonen, die durch das Netz flutet.
Da sehe ich das Bild eines Spitzenpolitikers als „Zielscheibe“ in einem Pissoir. Da werden mengenweise Emojis gepostet, die grüne Kotze ausspeien – als „Kommentar“ zum Zitat eines anderen Politikers. Da wird in geradezu pubertärem Ton über Figur, Kleidungsstil oder fehlende Schulabschlüsse gelästert.
Und besonders häufig trifft es dabei Frauen in Verantwortung. Man mag den Einzelfall unterschiedlich beurteilen. Persönlicher Geschmack spielt da sicher eine Rolle. Für mich ist der Maßstab aber die Menschenwürde. Und die begegnet mir im Netz leider immer weniger.
IDEA: Was könnten Gründe für diese Entwicklung sein?
Zehendner: Nach meiner Einschätzung kommen da viele Faktoren zusammen: Da sind erstens die Kampagnen von Boulevard-Medien – speziell der „Bild“ –, die immer mehr zu persönlichen Angriffen übergehen, um die Auflage ihrer Blätter zu erhöhen.
Zweitens die scheinbare Anonymität im Netz, bei der jegliche Höflichkeitsform verloren gegangen ist. Und dann drittens das blinde Vertrauen vieler Menschen zu selbsternannten Politik-Erklärern (vor allem von Rechtsaußen), die im Netz ihre Thesen gegen den „Mainstream“ verbreiten und deren Geschäftsmodell es ist, die Demokratie sturmreif zu schießen.
Ob es tatsächlich auch gezielte Beeinflussung von außen gibt, z. B. aus Russland (wovon viele Experten ausgehen), kann ich nicht beurteilen. Ich glaube aber: Wenn ein Diktator sich aus der Ferne anschauen könnte, wie wir gerade mit unserer Demokratie umgehen, dann würde er sich vor Lachen den Bauch halten. Denn wir sind gerade emsig dabei, unsere Demokratie zu beschädigen.
IDEA: Beteiligen sich aus Ihrer Sicht auch Christen an der Verbreitung der respektlosen Polemik?
Zehendner: Das beobachte ich leider erschreckend oft. Da posten Menschen bei Instagram oder Facebook Bibelverse, Lobpreislieder und Einladungen zu geistlichen Veranstaltungen. Und dann teilen sie wenig später Posts gegen Politikerinnen und Politiker, die im Ton und auch in der Darstellung unanständig und respektlos sind und nicht selten weit unter die Gürtellinie zielen. Das Gebot der Nächstenliebe scheint im Netz außer Kraft zu sein.
IDEA: Wie könnten Christen reagieren – wie könnte eine positive Gegenbewegung aussehen?
Zehendner: Ich persönlich habe vor zwei Tagen auf meiner Facebook-Seite ein kleines Signal angekündigt: Wenn ich künftig Posts entdecke, die die Menschenwürde von Menschen in Verantwortung mit Füßen treten, dann werde ich den jeweiligen Facebook-Kontakt aus meiner Freundesliste löschen. Meine Ankündigung hat zu meinem Erstaunen in kurzer Zeit Hunderte von Reaktionen ausgelöst, viele haben meinen Post geteilt.
Aber ich alleine werde natürlich nicht die Welt verändern können und auch das Netz nicht. An dieser Herkulesaufgabe müssten die christlichen Leitmedien und die einflussreichen Persönlichkeiten in Kirchen und Gemeinde sich beteiligen – statt ihrerseits durch die Tonlage ihrer Kommentare zusätzlich Öl ins Feuer zu gießen.
Gemeinsam könnten wir z. B. vorschlagen:
– Wir Christinnen und Christen nehmen auch in den unterschiedlichen Medien Menschen in Verantwortung aus jeder politischen Richtung als Menschen wahr, als Geschöpfe Gottes, wir respektieren sie und ihre Menschenwürde.
– Natürlich können wir auf ihre Argumente eingehen und kommentieren, was wir falsch oder gefährlich finden. Aber dabei bemühen wir uns um Sachlichkeit und vermeiden persönliche Angriffe, Hass und Hetze.
– Wenn wir Posts teilen, dann prüfen wir vorher, wer dahinter steckt bzw. aus welcher Quelle sie stammen. Und was diese Quelle sonst noch so alles zum Besten gegeben hat.
– Sollten wir unsicher sein, ob bei einem geplanten Post die Menschenwürde gewahrt ist oder nicht – dann lassen wir ihn im Zweifelsfall einfach weg.
– Vor jedem Post erinnern wir uns an ein wertvolles Wort Jesu (Matthäus 7,12a): „Behandelt andere Menschen genauso, wie ihr selbst behandelt werden wollt.“
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