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Bericht

Vergebung, Frauen und Singer-Nähmaschinen

24.02.2023

v.r.n.l.: Tobias Köhler, Annika Klein, Bischof Kongi, Uwe Heimowski und Bischof Raphael im Südsudan. Foto: Uwe Heimowski
v.r.n.l.: Tobias Köhler, Annika Klein, Bischof Kongi, Uwe Heimowski und Bischof Raphael im Südsudan. Foto: Uwe Heimowski

Der Südsudan ist der jüngste Staat der Welt und gilt schon jetzt als gescheitert. Der Beauftragte der Evangelischen Allianz in Deutschland, Uwe Heimowski, hat sich mit dem Leiter von „Coworkers Projekte“ Tobias Köhler und Projektleiterin Annika Klein auf die Reise gemacht. Dabei begegnete er Christen, die anderen Hoffnung schenken und die südsudanesische Gesellschaft nachhaltig verändern.

„Ihr seid über Istanbul geflogen? Heute morgen erst haben wir für die Menschen in der Türkei und Syrien gebetet. Schrecklich, was dort passiert ist.“ Mit diesen Worten begrüßt uns Elisama Daniel in der südsudanesischen Hauptstadt Juba. Er ist der Leiter der christlichen Organisation ACROSS und Projektpartner von Coworkers.

Der Südsudan liegt, gebeutelt von Bürgerkriegen, auf dem letzten Platz des Indexes der menschlichen Entwicklung. Und doch betet unser Gastgeber für die Opfer des Erdbebens …

Der gescheiterte Staat

Der Südsudan, der jüngste Staat der Erde, ist seit 2011 unabhängig. Der mehrheitlich christliche Süden und der islamische Norden trennten sich nach vielen Kriegsjahren weitgehend friedlich. Doch von 2013 bis 2018 erschütterte ein Bürgerkrieg das Land. Der „gescheiterte Staat“ wird bis heute von Terror erschüttert. Anfang Februar besuchten Papst Franziskus und der anglikanische Erzbischof Justin Welby den Südsudan. Das Motto war an die Bibelstelle Johannes Kapitel 17 angelehnt: „Ich bete, dass sie alle eins sind“. Doch am Vorabend des Besuches wurden 27 Menschen ermordet.

Vier Millionen Südsudanesen sind auf der Flucht: Die Hälfte lebt in Kenia, in Uganda oder dem Kongo, hinzu kommen zwei Millionen Binnenflüchtlinge. Verstärkt wird die Krise durch die Klimaveränderungen: Die Regenzeit verschiebt sich, der ausgetrocknete Boden führt zu verheerenden Überschwemmungen.

„Ohne die Hilfswerke gäbe es nichts“

Die Wirtschaft ist zerstört, der Südsudan gilt als eines der korruptesten Länder der Welt. Jeder versucht, etwas zu verkaufen: Frauen stehen mit Bananen am Straßenrand, kleine Mädchen bieten Softdrinks und Hygieneartikel an, Halbwüchsige verdingen sich als Fahrer mit klapprigen Mopeds. „Wir müssen alles importieren, auch Obst und Gemüse. Die Armut führt zu Plünderungen. Die Bauern resignieren und lassen die Felder brach liegen. Wenn die Hilfsorganisationen nicht im Land wären, gäbe es nichts: kein Geld, keine Jobs“, erklärt Daniel.

Das Welt-Ernährungsprogramm stellt Flüchtlingsfamilien sieben Kilogramm Maismehl pro Woche zur Verfügung. Großfamilien reicht das hinten und vorne nicht. Viele Hilfswerke leisten Beachtliches, um das Überleben der Menschen zu sichern.

Der ganze Mensch braucht Veränderung

Aber ist das eine Zukunft, auf der man langfristig aufbauen kann? Neben Nahrung und sauberem Wasser braucht es Projekte, die den ganzen Menschen verändern: beispielsweise Trauma-Aufarbeitung oder Tanz- und Sportprogramme, die für neuen Lebensmut sorgen. Auch die Verbreitung des Evangeliums gehört dazu. Aber warum ist das so wichtig?

Durch Vergebung frei werden

Das wird mir deutlich, als wir eine Konferenz von UCAD – einem weiteren Partner von Coworkers – besuchen. Die Themen an diesem Tag: „Die Bedeutung von Frauen“ und „Die Kraft der Vergebung“. Bischof Kongi von UCAD erklärt: „Vergebung bedeutet nicht, das Verbrechen zu akzeptieren oder zu entschuldigen. Vergebung bedeutet, frei zu werden von dessen Folgen.“

Vergebung schließt Aufarbeitung und Gerechtigkeit ein. Der Mut, etwas Neues zu beginnen, kommt aus der Vergebung. Ein Mensch, der vergeben kann, überwindet Hass und Hoffnungslosigkeit. Wir treffen den anglikanischen Bischof Abraham. Er berichtet vom Papstbesuch: „Schon 2019 hat Franziskus zwei verfeindeten Politikern als Symbol der Versöhnung die Füße geküsst. Solche Gesten braucht unser Land.“

Lebensfreude trotz Armut

Im Kontrast zur Armut steht die Lebensfreude, die besonders die Gottesdienste prägt. Es wird getanzt und gelacht. Der Humor ist großartig. Die Begeisterung drückt sich in einem kehligen Jubellaut aus. Ich frage danach, einige Frauen zeigen es mir. Ich bringe ein gutturales Stammeln zustande. Die Frauen brechen in schallendes Gelächter aus. Ich frage den Pastor: „War es so schlecht?“ „Nein,“ er klopft sich vor Lachen auf die Schenkel, „das machen aber nur Frauen.“ Da haben sie den weißen Europäer aber mal schön hopsgenommen.

Frauen stark machen

Überhaupt: die Frauen. Ihre Lage im Südsudan ist dramatisch. Etliche werden als Minderjährige zwangsverheiratet, viele erleben Gewalt. Entsprechend nimmt die Entwicklungszusammenarbeit oftmals Frauen in den Fokus. Das „Women Empowerment Program” ist in einem Flüchtlingscamp angesiedelt. Die Frauen werden zu Schneiderinnen ausgebildet, viele von ihnen sind Analphabetinnen. Sie lernen Maße zu nehmen und Schnittmuster zu lesen. Nach neun Monaten wird der Abschluss gefeiert: Mit einer Modenschau, die Erlöse sind für eine Erstausstattung. Ihre Singer-Nähmaschine bekommen sie geschenkt und können ein Geschäft eröffnen.

Beim „Women Empowerment Program“ werden Frauen zu Schneiderinnen ausgebildet. Foto: Uwe Heimowski

Nach dem Gottesdienst: Alltagswissen pauken

Viele Programme setzen auf Bildung. Das beginnt mit Sonntagsschulgruppen nach dem Gottesdienst, in denen Alltagswissen vermittelt wird: handwerkliche Fähigkeiten oder Gesundheitsvorsorge. Christen gründen Kindergärten und Schulen. In eigenen Kursen lernen Männer, respektvoll mit Frauen umzugehen, und Frauen, sexuelle Übergriffe zu melden und sich zu wehren.

Die Schüler eine Sonntagsschule. Foto: Uwe Heimowski

„Was die deutschen Trümmerfrauen schaffen, schaffen wir auch“

Eine der besten Ausbildungsstätten des Landes ist das Emmanuel Christian College (ECC). Wir besuchen den Leiter Daniel Ohide in Yei, 150 Kilometer südwestlich von Juba. Das ECC wurde noch vor der Teilung des Sudan in der Siedlung Goli – mitten im Busch – gegründet. Zweck war es, dort fernab von der feindlich gesinnten muslimischen Mehrheit christliche Studenten auszubilden. Nach dem Referendum erhielt es die staatliche Anerkennung.

Die Einrichtung hat schlimme Tage hinter sich: 2016 kamen muslimische Rebellen nach Goli. Die über 1.000 christlichen Studenten und ihre Lehrer flohen in das 30 Kilometer entfernte Yei. 2018 griff dann das Militär den Campus in Goli an. Zehn Menschen starben dabei: fünf Studenten, drei Hilfskräfte, zwei Dorfbewohner. Bis heute ist das Verbrechen rechtlich nicht aufgearbeitet.

Das ECC machte schließlich in Yei weiter: Es bildet dort Lehrer, Kaufleute und Pastoren aus. Daniel strahlt einen ansteckenden Optimismus aus. Coworkers hatte ihn 2018 nach Stuttgart eingeladen. Dort hörte er vom Monte Scherbelino, dem Trümmerberg, den die Frauen aufhäuften, die nach dem Zweiten Weltkrieg ihre zerbombte Stadt freiräumten. „Mich hat das begeistert“, schwärmt er, „wenn die Frauen in Deutschland das konnten, dann schaffen wir es auch.“

Und wieder ist sie da, die Verbundenheit über Kontinente hinweg: von Deutschland in den Südsudan, vom Südsudan in die Türkei und nach Syrien. Wir beten miteinander, dass Gott Wunder tut, hier wie dort.

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