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Film-Kritik

Treppenwitz der Geschichte

20.03.2022

Regisseur Jan Josef Liefers im Gespräch mit Uwe Holmer. Foto: ZDF/ Alexander Seidenstücker
Regisseur Jan Josef Liefers im Gespräch mit Uwe Holmer. Foto: ZDF/ Alexander Seidenstücker

Die ZDF-Dokumentation „Honecker und der Pastor“ (20. März, 23:45 Uhr) erklärt die Hintergründe zum gleichnamigen Spielfilm (21. März, 20:15 Uhr) – und setzt Pastor Uwe Holmer, der dem abgesetzten DDR-Chef Asyl bot, ein filmisches Denkmal. Karsten Huhn berichtet.

Was will das Volk? Es geschah am 7. Oktober 1989, dem 40. Jahrestag der DDR, der zugleich ihr letzter sein sollte. DDR-Staatschef Erich Honecker hatte den sowjetischen Generalsekretär Michail Gorbatschow zur Staatsfeier zu Gast, und das Volk huldigte Honecker mit „Erich, Erich“-Rufen. Doch zur gleichen Zeit kommt es an anderer Stelle zu Gegendemonstrationen. Wenige Tage später wird Honecker von seinen Parteifreunden entmachtet, nur ein paar Monate darauf ist die ganze DDR Geschichte.

In der ZDF-Dokumentation „Honecker und der Pastor“ zeigt Regisseur Jan Josef Liefers Archivaufnahmen vom Fall Honeckers und sprach mit Zeitzeugen. Honecker wird verhaftet, dann wieder freigelassen. Und weil die Waldsiedlung Wandlitz, das Wohnquartier für Politbüro-Mitglieder, geschlossen wird, steht Honecker plötzlich ohne Herberge da.

In seiner Not klopft der einst mächtigste Mann im Staat bei der Kirche an, die er bekämpfte. Unterschlupf findet er bei der Familie von Pastor Uwe Holmer, dem Leiter der Hoffnungstaler Anstalten. Die befinden sich in Lobetal bei Bernau, kurz hinter Berlin, und bieten „Menschen ein Zuhause, die im Sozialismus keinen Platz haben“, so Holmer in einem Filmausschnitt 1990.

Lobetal gilt als der Ort, wo die Irren, die Verrückten lebten. Gegründet wurde die Anstalt 1905 von Pastor Friedrich Bodelschwingh. Die Siedlung sollte ursprünglich Berliner Obdachlosen Asyl bieten. Nun bat der frühere Staatschef im Dorf der Verrückten um Aufnahme.

Vier Gründe zum Aufbleiben

Für die Dokumentation lohnt sich das Aufbleiben (alternativ genügt auch ein Klick in die ZDF-Mediathek). Dafür gibt es vier Gründe. Zum einen verblüffen die Aufnahmen von 1990. Schockierend ist die an allen Stellen sichtbare Kargheit der DDR. Die Bilder wirken, als seien sie kurz nach dem Zweiten Weltkrieg gedreht. Zum Zweiten beeindrucken die schlichten, klaren Aussagen Uwe Holmers: „Das Zentrum unserer christlichen Botschaft ist Vergebung.“ Und: „Wir beten jeden Sonntag in unserer voll besetzten Kirche: Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern. Wenn wir das jetzt nicht tun, dann können wir aufhören zu beten.“

Zum Dritten verblüfft, dass das Drehbuch des Spielfilms bei allem Ulk, den sich dieser gönnt, äußerst nah an den damaligen Ereignissen ist. Die Dokumentation führt akribisch Nachweis darüber, dass der ungeheuerlichen Erzählung des Spielfilms bis ins Detail zu trauen ist. Zum Letzten staunt man über den Treppenwitz, den die Geschichte hier geschrieben hat. Keines der zehn Holmer-Kinder durfte in der DDR Abitur machen, trotz bester Noten. Und nun macht sich Honeckers Ehefrau, die frühere DDR-Bildungsministerin Margot Honecker, im Pfarrhaus nützlich und wischt die Treppe.

„Wie ein Märchen“ klinge die Geschichte vom Kirchenmann, der dem Kommunisten Zuflucht gewährte, sagt Jan Josef Liefers.

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