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Bericht

In Leipzig lauerte der Tod

26.06.2021

Der Hinrichtungsraum im ehemaligen Gefängnis in Leipzig: Nach bisherigen Erkenntnissen wurden hier 64 Todesstrafen vollstreckt. Foto: picture alliance / ZB | Hendrik Schmidt
Der Hinrichtungsraum im ehemaligen Gefängnis in Leipzig: Nach bisherigen Erkenntnissen wurden hier 64 Todesstrafen vollstreckt. Foto: picture alliance / ZB | Hendrik Schmidt

Rund 160-mal wurde in der DDR die Todesstrafe vollstreckt – zuletzt vor 40 Jahren. Die Delinquenten starben durch die Guillotine, später durch den „Nahschuss ins Hinterhaupt“. Die zentrale Hinrichtungsstätte befand sich in Leipzig. Von IDEA-Leiter Matthias Pankau

26. Juni 1981, 10 Uhr morgens. Der 39-jährige Werner Teske wird in einen fensterlosen und mit Neonröhren ausgeleuchteten Raum geführt. Seine Hände sind mit einem Lederriemen auf dem Rücken gefesselt. Dann geht es alles blitzschnell. Hinter der Tür tritt der Scharfrichter hervor, richtet seine Pistole vom Typ Walther P38 auf Teskes Hinterkopf und drückt ab. „Unerwarteter Nahschuss in das Hinterhaupt“ hieß das im Strafgesetzbuch der DDR, Paragraf 60, Absatz 1. Die Kugel sollte den Delinquenten möglichst unerwartet treffen. Das entsprach dem Verständnis von Humanität, das der Höchststrafe zugrunde lag.

Todeswürdig waren in der DDR Mord, NS-Kriegsverbrechen, Hochverrat und Spionage, aber auch Kriegshetze und Sabotage, sowie die sogenannte „Diversion“. Der machte sich schuldig, wer „die Volkswirtschaft oder die Verteidigungskraft“ der DDR untergrub. Werner Teske, Hauptmann des Ministeriums für Staatssicherheit, hatte mit dem Gedanken gespielt, in den Westen überzulaufen. Er hatte geheime Unterlagen mit nach Hause genommen. Vielleicht hätte er sie irgendwann westlichen Geheimdiensten übergeben. Aber eben nur vielleicht. Dass er es nicht getan hatte, spielte in der Urteilsbegründung ebenso wenig eine Rolle wie sein Motiv. Die Urteile standen in der Regel schon vor Prozessbeginn fest.

„Vorschlag Todesurteil“

„Die Prozesse erfolgten vielfach nach dem Muster stalinistischer Schauprozesse“, erklärte seinerzeit Staatsanwalt i. R. Christoph Schaefgen (Berlin), der bis zum Jahr 2000 die Zentrale Stelle Berlins zur Aufarbeitung des DDR-Unrechts bei der Senatsverwaltung für Justiz leitete. Urteile seien nach einer Präventivlogik gefällt worden. Menschen wurden für Dinge verurteilt, die sie eventuell hätten tun können, aber nie getan haben.

Im Zweifelsfall fällte die Staatsführung ein Urteil kurzerhand selbst. Dokumentiert ist der Fall, in dem Mitglieder der „Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit“ zu hohen Haftstrafen verurteilt worden waren. Walter Ulbricht – Staatsratsvorsitzender und Generalsekretär des Zentralkomitees der SED – genügte das nicht. So schrieb er an den Rand einfach „Vorschlag Todesurteil“ und darunter „Einverstanden!“.

Rund 160 Menschen hingerichtet

Insgesamt wurden in der DDR rund 160 Todesurteile vollstreckt, darunter drei an Frauen. Während Westdeutschland die Todesstrafe bereits 1949 abgeschafft hatte, galt sie in der DDR weiter. Zunächst behielten sich die russischen Besatzer das Recht vor, Urteile gegen Systemgegner selbst zu fällen und zu vollstrecken. So wurden zwischen 1950 und 1953 923 Deutsche in Moskau erschossen.

Parallel zu den Sowjetischen Militärtribunalen (SMT) hatten dann auch deutsche Gerichte die Erlaubnis, Todesurteile zu fällen – anfangs nur im Fall von NS-Verbrechen, später generell. Zunächst befand sich die zentrale Hinrichtungsstätte in Dresden am Münchner Platz. Dort hatten bereits die Nazis Todesurteile vollstreckt. Als dort aber ein Erinnerungsort für Opfer des NS-Regimes eingerichtet werden sollte, verlegte man die Hinrichtungsstätte 1960 nach Leipzig.

Dramatische Zwischenfälle

Sie befand sich in der Arndtstraße, einer ruhigen Wohnstraße in der Südvorstadt, gesäumt von prachtvollen Gründerzeithäusern. In der Nummer 48 befindet sich der Hintereingang der Strafvollzugsanstalt. Hinter der schweren eisernen Flügeltür gleich rechts liegt die ehemalige Hausmeisterwohnung der Haftanstalt.

1960 war sie zur zentralen Hinrichtungsstätte der DDR umfunktioniert worden. Bis 1968 stand hier die Guillotine. In der Wand finden sich noch die Verankerungen. Der Wasserhahn mit Anschlussmöglichkeit für einen Schlauch und der im Boden eingelassene Abfluss lassen erahnen, welches Grauen sich hier wieder und wieder zugetragen haben muss.

Doch die „Fallschwertmaschine“, wie sie in der DDR hieß, funktionierte nicht immer gleich beim ersten Mal. In den Protokollen sind dramatische Zwischenfälle dokumentiert. So blieb die riesige Klinge einmal in der Schulter eines Todeskandidaten stecken. Der soll vor Schmerzen geschrien haben. Erst der zweite „Versuch“ funktionierte. Um derartige Pannen zu vermeiden, wurden die Todeskandidaten ab 1968 per Nahschuss in den Hinterkopf hingerichtet.

Der Totenschein wurde gefälscht

Nach der Hinrichtung fälschte ein Arzt den Totenschein. Anschließend wurde der Tote in einem vernagelten Sarg unter größter Geheimhaltung zum Leipziger Südfriedhof gefahren, wo er verbrannt und anonym beigesetzt wurde. Die Angehörigen erfuhren häufig nichts davon.

Unmittelbar vor der Hinrichtung durften die Verurteilten noch einen Abschiedsbrief an ihre Angehörigen schreiben. Eine Stunde hatten sie dafür Zeit. Sie ahnten freilich nicht, dass ihre Briefe nie abgeschickt wurden; sie liegen noch heute im Original in den Akten der Hingerichteten.

Erst 1987 wurde die Todesstrafe abgeschafft

Offiziell wurde die Todesstrafe erst am 17. Juli 1987 abgeschafft – kurz vor dem Besuch Erich Honeckers in der BRD. Die UNO hatte die Todesstrafe als unmenschlich kritisiert und Honecker wollte eine humane DDR präsentieren. Stasi-Chef Erich Mielke erbrachte ein solches Zugeständnis an den Westen ungern. In einer Offiziersversammlung hatte er fünf Jahre zuvor noch erklärt: „Wir sind nicht gefeit leider, dass mal ein Schuft unter uns sein kann. Wenn ich das schon jetzt wüsste, der würde schon morgen nicht mehr leben. Ganz kurz. Prozess. Das ganze Geschwafel von nicht Hinrichten und nicht Todesurteil. Alles Käse, Genossen.“

Das Bürgerkomitee Leipzig setzt sich seit Jahren für den Erhalt der ehemaligen Hinrichtungsstätte ein. Bislang ist sie für die Öffentlichkeit nur zweimal im Jahr zugänglich – zur Leipziger Museumsnacht im Mai und zum Tag des Offenen Denkmals im September.

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