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Kommentar

Erfolgsserie „The Chosen“ – Was steckt dahinter?

17.05.2023

Bisher haben mehr als 400 Millionen Menschen die TV-Serie „The Chosen“ gesehen. Foto: Gerth Medien/The Chosen, Inc.
Bisher haben mehr als 400 Millionen Menschen die TV-Serie „The Chosen“ gesehen. Foto: Gerth Medien/The Chosen, Inc.

Die US-Serie „The Chosen“ (Die Auserwählten) findet großen Anklang bei Zuschauern auf der ganzen Welt: Mehr als 400 Millionen Menschen haben die Folgen über das Wirken Jesu gesehen. Was macht die Serie aus? Eine Einordnung von Alexander Garth.

Wer hätte das gedacht? Eine Fernsehserie über das Leben von Jesus wird zum Welterfolg und begeistert ein Millionenpublikum. Sieben Staffeln sind geplant, drei sind bereits gedreht. Finanziert wird das Mammutvorhaben nicht etwa von Hollywood. Es läuft als Crowdfunding-Projekt. Über 20.000 Spender haben die Produktion der ersten beiden Staffeln ermöglicht.

Unter dem Titel „The Chosen“ kann man die Serie kostenlos über eine App anschauen. 500 Millionen Menschen haben sie bereits gesehen. Die ersten beiden Staffeln gibt es auch auf Deutsch. Sie landeten beim Erscheinen als DVD/Blue-ray sofort auf Platz 1 der SPIEGEL-Bestsellerliste.

Es geht um mehr als Unterhaltsamkeit

Der Massenerfolg einer Serie sagt noch nicht unbedingt etwas über deren Qualität aus. Zumal für eine Verfilmung des Lebens von Jesus noch andere Kriterien gelten als lediglich der Aspekt der Unterhaltsamkeit. Es geht schließlich um eine historische Gestalt, die trotz der kurzen Zeit ihres Wirkens eine Wirkungsgeschichte hat wie sonst keine auf der Welt.

Was die Verfilmung besonders macht

„The Chosen“ ist nicht der erste Versuch, das Leben Jesu zu verfilmen. Aber diese Version ist sehr besonders, weil sie eine Sprache und Bildgewalt gefunden hat, die sowohl säkulare als auch junge Menschen anspricht. Jesus ist humorvoll, sympathisch, unkonventionell, cool, emotional berührend. Er ist nicht der entrückte, etwas weltfremde Mann aus Gottes Welt, sondern wirklich einer von uns, der warmherzig und empathisch das Leben der Menschen teilt und entscheidend verändert. Man kann sich mit ihm identifizieren.

Die Geschichten sind breit erzählt, damit heutige Menschen einigermaßen hineinfinden in die fremde Welt des Nazareners. Die Charaktere werden differenziert gezeichnet. Das macht die Figuren lebendig und glaubwürdig.

Viele dieser Hintergrundgeschichten stehen so nicht in der Bibel. Sie machen aber den Gesamtzusammenhang verständlich, den man ohne biblisches Vorwissen nicht kennt. Beispielsweise wird die Vorgeschichte des Oberzöllners Matthäus fiktional erzählt. Der Serienzuschauer bekommt eine Ahnung vom spannungsgeladenen Verhältnis zwischen dem jüdischen Volk und der römischen Besatzungsmacht. Auch die komplizierten Fragen des religiösen Lebens des antiken Judentums werden durch die imaginären Erzählungen erhellt.

Kein Nischenprodukt für ein paar Gläubige

Dallas Jenkins, dem Regisseur der Serie, war es ein wichtiges Anliegen, mit „The Chosen“ kein Nischenprodukt für ein paar Gläubige zu schaffen, sondern Zugänge für heutige Menschen zu eröffnen und Neugier zu wecken. Das ist nach meinem Eindruck gelungen. Viele Kirchgemeinden nutzen diese Serie, um Menschen zu Filmabenden in die Kirche einzuladen und mit ihnen ins Gespräch zu kommen über Jesus, über Gott und die Welt.

Die Pfarrer an Wittenbergs Stadtkirche beispielsweise gestalten mit „The Chosen“ einen Glaubenskurs. Jeden Mittwochabend füllt sich das Gemeindehaus, um eine Folge zu schauen und darüber zu sprechen. Christen bringen ihre nichtkirchlichen Freunde und Nachbarn mit, die häufig zum ersten Mal mit dem Glauben in Berührung kommen.

Immer wieder hört man, dass Leute, die keine Ahnung vom christlichen Glauben hatten, durch diese Serie einen Zugang zum Christentum fanden und gläubig wurden. Prominentestes Beispiel ist die Fernsehmoderatorin Andrea Ballschuh.

Was kritisiert wird

Das Filmserien-Projekt provoziert natürlich auch Kritik und Ablehnung. Säkulare Kritiker suchen vergeblich nach Neuinterpretationen eines alten Stoffes. Sie finden den Glauben, wie er sich im Film artikuliert, naiv und langweilig. Altbekanntes wird nur neu illustriert, aber nicht neu gedeutet, so der Vorwurf.

Problematisch in den Augen einiger christlicher Kritiker ist der Sachverhalt, dass nicht alle Mitwirkenden einen klaren christlichen Bezug haben. Am Projekt seien Mormonen beteiligt. Ein weiterer Kritikpunkt besteht darin, dass einige Beteiligte in Horrorfilm-Projekten involviert waren. Dadurch würde das ganze Filmprojekt geistlich kontaminiert.

Eine Verzerrung von Gottes Wort?

Ein weiterer Kritikpunkt ist grundsätzlicher Natur. Schon der Versuch, die Bibel in ein modernes Medium zu übersetzen, wird abgelehnt. In der Bibel ist Gottes vollkommenes, irrtumsloses Wort offenbart. Eine Übersetzung in ein anderes Medium muss daher zwangsläufig zu einer Verzerrung des Wortes Gottes führen, zu einer Umdeutung oder Verwässerung. Außerdem sind in der Serie viele Inhalte hinzugedichtet worden, um die Figuren besser zu illustrieren.

Kunst als Medium christlicher Verkündigung

Daraus ergibt sich eine grundsätzliche Frage von außerordentlicher Relevanz. Ist nicht alle christliche Verkündigung eine Interpretation, ausgehend von der Offenbarung Christi, wie sie uns in der Bibel bezeugt wird? Interpretiert nicht jede Predigt Wort Christi in die Situation der Hörer? Ist nicht jede Verkündigung der guten Nachricht durch künstlerische Ausdrucksformen eine Umsetzung des Anrufs Christi in die Lebens- und Verstehenswelt der Menschen?

Ich denke dabei z. B. an die großen Werke christlicher Kreativität, wie sie uns begegnen in Bachs Matthäus-Passion, in der großartigen Architektur der Sagrada Familia von Gaudi in Barcelona, in dem berührenden Gemälde „Der verlorene Sohn“ von Rembrandt, in dem jubelnden Gospelsong „O happy day, when Jesus washed my sins away“.

Überhaupt hat sich die christliche Verkündigung in ihrer langen Geschichte schon immer verschiedenster künstlerischer Ausdrucksformen bedient, um das einladende Evangelium von der suchenden Liebe Gottes zu illustrieren. Oft gebraucht Gott dazu Menschen, die in Finsternis und Zweifel und manchmal sogar in allerlei Sünden gefangen waren. Und dennoch redete Gott durch sie. Früher konnten viele Menschen nicht lesen. Sie hatten auch keinen Zugang zu einer Bibel. Aber es gab bunte Glasfenster in den Kirchen und unzählige Werke der Bildhauerei. Sie alle erzählen das Evangelium von Jesus.

Christliche Schauspielkunst in der Geschichte

Schon recht früh in der Geschichte der Kirche benutzten Christen auch das Medium der Schauspielkunst, um das Evangelium verständlich zu machen und zu verkünden, was Gott in Christus getan hat. Wir kennen diese Form der Verkündigung vor allem durch die Passionsspiele, in denen die letzten Tage des irdischen Lebens Jesu dargestellt werden.

Im Protestantismus hat das Medium der darstellenden Kunst im weihnachtlichen Krippenspiel überlebt. Aber seit der Erfindung der Lichtspielkunst im 20. Jahrhundert erfuhr dieses Medium der Verkündigung eine Wiederbelebung durch die Jesus-Filme und die Bibelverfilmungen.

Christen, denen es ein Herzensanliegen war, das Evangelium in eine zunehmend säkulare Gesellschaft zu kommunizieren, entdeckten Film und Fernsehen – und in unseren Tagen besonders auch das Internet, um den Menschen Jesus nahezubringen. Grundsätzlich ist das gar nicht so neu, denn eigentlich war die Kirche in ihrer Verkündigung schon immer multimedial, freilich jeweils auf dem Stand ihrer technologischen Möglichkeiten.

Ob „The Chosen“ zu den großen Werken der zur Kunst gewordenen Verkündigung des Evangeliums gerechnet werden kann, wird die Zukunft zeigen. Jesus hat ein überzeugendes Kriterium genannt: „An den Früchten sollt ihr sie erkennen“. Die Früchte werden zeigen, ob diese Filmserie ein gutes christliches Werk ist.

(Der Autor, der evangelische Pfarrer Alexander Garth, ist Beauftragter der Evangelischen Allianz für Theologie, Evangelisation und Gemeindeentwicklung. Von 1987 bis Januar 2023 war Garth Pfarrer in Sachsen, Thüringen, Berlin und zuletzt an der Stadtkirche St. Marien in Wittenberg, der Kirche des Reformators Martin Luther (1483–1546).)

Lesen Sie hier ein Pro & Kontra zu der Frage „Sollte man Jesus-Verfilmungen anschauen?“

Der evangelische Pfarrer Alexander Garth. Foto: Christoph Busse

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