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Politik

Keine Privilegien für Corona-Geimpfte: Eine Frage der Solidarität?

30.12.2020

Am 27. Dezember sind die ersten Impfungen gegen das Coronavirus angelaufen. Symbolbild: pixabay.com
Am 27. Dezember sind die ersten Impfungen gegen das Coronavirus angelaufen. Symbolbild: pixabay.com

Berlin (idea) – Die Debatte um eine mögliche Aufhebung von Corona-Beschränkungen für Geimpfte hält an. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hatte Privilegien für Geimpfte unter anderem gegenüber den Zeitungen der Funke-Mediengruppe (Essen) abgelehnt und dabei an die Solidarität der Menschen appelliert: „Viele warten solidarisch, damit einige als erste geimpft werden können. Und die Noch-Nicht-Geimpften erwarten umgekehrt, dass sich die Geimpften solidarisch gedulden.“ Keiner sollte Sonderrechte einfordern, „bis alle die Chance zur Impfung hatten“.

Dabrock: Was eines demokratischen Rechtsstaats unwürdig erscheint

Kritik an dem Solidaritätsappell kommt von dem ehemaligen Vorsitzenden des Deutschen Ethikrats, dem evangelische Theologieprofessor Peter Dabrock (Erlangen). Damit mache es sich die Politik zu einfach, schreibt er in einem Gastbeitrag für „Spiegel online“. Bei den Appellen gebe es erhebliche Defizite. Dabrock kritisiert insbesondere, dass die Reihenfolge, wer wann geimpft wird, nur per Rechtsverordnung des Bundesgesundheitsministeriums festgelegt wurde.

Hintergrund: Zuerst werden der Verordnung zufolge Bewohner in Pflegeeinrichtungen, Personen ab 80 Jahren sowie diejenigen geimpft, die sich um solche Menschen kümmern, sowie Teile des Klinikpersonals. Die Gruppe umfasst rund 8,6 Millionen Menschen. Es folgen verschiedene Altersgruppen, Menschen mit bestimmten Vorerkrankungen, verschiedene Berufsgruppen sowie zuletzt alle anderen Personen unter 60 Jahren. Zu der letztgenannten Gruppe gehören über 40 Millionen Menschen.

Es erscheine, so Dabrock, eines demokratischen Rechtsstaats unwürdig, eine für alle existenziell gravierende Frage allein per Verordnung zu regeln. Das Argument, dass das Verfahren aus Zeitgründen gewählt wurde, weist Dabrock zurück: „Hier die gewählte Repräsentanz der Zivilgesellschaft außen vor zu lassen, ist ein sträfliches Unterlassen angesichts von gleichzeitigen Solidaritätsappellen an diese.“

Die Entscheidungen muss die Politik treffen – nicht die Wissenschaft

Es hätte auch in Debatten viel intensiver geklärt werden müssen, ob die in der Impfverordnung festgelegten Priorisierungen tragen. Es könne, so Dabrock, keiner sagen, die Wissenschaft habe klare Vorgaben gemacht: „Wissenschaft kann begründet Vorschläge unterbreiten, aber die Entscheidung muss schon durch die demokratisch legitimierte Politik, bestehend aus Exekutive wie Legislative, getroffen werden.“

Ferner hätte die horizontale Verteilung stärker thematisiert werden müssen: „Hier fantasielos nur auf Geduld und Solidarität einer Gruppe von etwa 40 Millionen Menschen zu setzen, ist dauerhaft nicht nur realitätsfern, sondern angesichts der möglichen tödlichen Folgen bei einer erst späten Erteilung der Impfung zynisch.“

Bei dieser riesigen Zahl erwarte er einen zu diskutierenden Vorschlag, wie das zu wählende Verfahren möglichst gerecht vonstattengehen kann: „Wenn keine weiteren plausiblen Kriterien mehr vorliegen, und dieser Auffassung scheinen die Bundesregierung, namentlich Jens Spahn, aber auch die Landesregierungen ja zu sein, wenn sie so viele Menschen in eine Kategorie stecken, dann muss man das Los entscheiden lassen.“

Höchste Zeit, Bürger und Parlamente stärker einzubinden

Frust und Wut über unklare Verteilverfahren für mehr als die Hälfte der Bevölkerung seien „demokratietheoretisch ein Desaster“: „Erst recht sind sie es für nicht zwingbare Solidaritätsappelle, wenn sich die Verteilung des Impfstoffs über ein halbes Jahr hinzieht und dann möglicherweise bereits Geimpfte ihre ihnen verbürgten Grundrechte zurückgefordert haben.“

Es sei also höchste Zeit, die Zivilgesellschaft und die Parlamente noch stärker einzubinden: „Solidarität wird es brauchen. Sie ist auch da, sie darf aber nicht überreizt werden, sie muss befördert werden.“

Alena Buyx: Es ist noch nicht belegt, dass Geimpfte niemanden anstecken

Die aktuelle Vorsitzende des Ethikrats, Alena Buyx, sprach sich gegenüber dem „Tagesspiegel“ gegen Sonderrechte für Geimpfte aus. Davon halte sie „vorerst gar nichts“. Zudem sei noch nicht sicher belegt, dass Geimpfte niemanden anstecken könnten. Dazu werde es erst in den kommenden Monaten belastbare Daten geben.

Hans-Jürgen Papier warnt vor Einschränkung von Bürgerrechten für Geimpfte

Hingegen sagte der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, gegenüber der „Bild“: „Sobald gesichert ist, dass von Geimpften keine Ansteckungsgefahr mehr ausgeht, gibt es verfassungsrechtlich keine Legitimation mehr, die Betroffenen in ihren Grundrechten weiter zu beschränken.“

Der Staatsrechtler und frührere Bundesverteidigungsminister Rupert Scholz (CDU) äußerte: „Wer jetzt sogar per Gesetz angebliche ,Sonderrechte‘ oder ,Privilegien‘ für Corona-Geimpfte verhindern will und sich dabei auf die Solidarität mit Noch-nicht-Geimpften beruft, verdreht die Tatsachen. In Wahrheit geht es nicht um Solidarität, sondern um die Frage, ob Bürger, die nachweislich nicht mehr ansteckend sind, weiter bevormundet werden sollen.“ Rechtspolitiker von Union und SPD prüfen derzeit ein gesetzliches Verbot von Sonderrechten für Menschen mit Corona-Impfung.

Verfassungsrechtler: Wenn die Mehrheit geimpft ist, kann man diskutieren

Der Verfassungsrechtler Ulrich Battis (Berlin), bezeichnete gegenüber der „Passauer Neuen Presse“ eine mögliche Ungleichbehandlung von Geimpften und Ungeimpften als sehr schwierige Frage. „Wenn in Zukunft die Mehrheit geimpft sein wird und nur noch eine kleine Minderheit nicht, könnte man darüber diskutieren, ob es unterschiedliche Beschränkungen gibt.“ .

Wolfram Henn: Impfverweigerer sollten auf Notfallmaßnahmen verzichten

Auf Kritik war zuvor ein Vorschlag von Wolfram Henn, Mitglied des Deutschen Ethikrats, gestoßen. Er hatte sich dafür ausgesprochen, dass Impfverweigerer im Krankheitsfall auf alle Notfallmaßnahmen verzichten sollten: „Wer partout das Impfen verweigern will, der sollte, bitte schön, auch ständig ein Dokument bei sich tragen mit der Aufschrift: ‚Ich will nicht geimpft werden! Ich will den Schutz vor der Krankheit anderen überlassen! Ich will, wenn ich krank werde, mein Intensivbett und mein Beatmungsgerät anderen überlassen.‘“

Der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch (Dortmund), bezeichnete diese Forderung gegenüber der er Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) als einen „Sprengsatz, der unsere Solidarität auseinander treibt“, und „Gift für eine seriöse, aufgeklärte Impfkampagne“.

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