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Kommentar

Fasten – Frei für Gott und den Nächsten

14.02.2024

Welchen Wert sollte das Fasten heute haben? Symbolfoto: unsplash.com
Welchen Wert sollte das Fasten heute haben? Symbolfoto: unsplash.com

Dieser Beitrag ist zuerst erschienen am 6. Februar 2018.

Fasten erfreut sich einer immer größeren Beliebtheit. Allerdings verzichten die meisten Menschen nicht aus Glaubensgründen. Das wichtigste Ziel ist für viele die Gesundheit. Christen fasten traditionell 40 Tage vor Ostern. Warum es sich für das geistliche Leben lohnt zu fasten, erklärt Peter Zimmerling, Professor für Praktische Theologie an der Theologischen Fakultät der Universität Leipzig.

Für das Fasten als Bestandteil evangelischer Frömmigkeit einzutreten heißt nicht, als Kirche wieder einmal einem Modetrend hinterherzulaufen. Es geht vielmehr darum, verschüttete geistliche Erfahrungen freizulegen und für heute fruchtbar zu machen.

Die Wiederentdeckung des Fastens

Das Fasten ist nicht im Raum der Kirche wiederentdeckt worden, sondern von der Medizin als sogenanntes Heilfasten. Das ist erstaunlich, weil das Alte und das Neue Testament häufig vom Fasten sprechen.

Neben dem Vorwurf der Gesetzlichkeit führte die Abwertung des Leibes durch die Aufklärung im Protestantismus zur endgültigen Abschaffung des Fastens. Welchen Wert sollte es haben, sich dem Fasten zu unterziehen, wenn der Leib den minderwertigen Teil des Menschen bildet und zudem keinen Einfluss auf die Seele besitzt?

„Das Fasten ist nicht im Raum der Kirche wiederentdeckt worden, sondern von der Medizin.“ Foto: pixabay.com

Im Katholizismus wurde das Fasten nach dem Zweiten Weltkrieg als Instrument zur Steigerung der Spendenergebnisse der karitativen Hilfswerke missbraucht, indem dazu aufgefordert wurde, das gesparte Essen in Spendengelder umzusetzen.

Die spirituelle Bedeutung des Fastens für Leib und Seele blieb auf diese Weise auch hier auf der Strecke. Gegenläufig zur Selbstblockade der Kirchen verlief die gesellschaftliche Entwicklung. Die Überernährung entwickelte sich in den westlichen Industriegesellschaften seit den 1960er Jahren mehr und mehr zu einem gesamtgesellschaftlichen Problem. Diät- und Fastenkuren boten sich als Ausweg an.

Fasten gibt es nur im Dreierpack!

Das Fasten im Rahmen evangelischer Frömmigkeit zu praktizieren bedeutet nicht, damit seine nicht-spirituellen Dimensionen auszublenden. Vielmehr ist das Fasten eine ganzheitliche Übung, die eine gesundheitliche Dimension, eine spirituelle Dimension und eine sozial-politische Dimension umfasst. Fasten gibt es nur im Dreierpack!

„Zum Fasten gehört die Ausrichtung auf den Nächsten!“

Es ist hier nicht der Ort, um die positiven Auswirkungen des Fastens auf den menschlichen Organismus zu entfalten, die weit über das Moment der Entschlackung hinausgehen. Schon das Alte Testament warnt davor, das Fasten losgelöst vom Dienst am Nächsten zu betrachten (Jesaja 58,1–12).

Jesus verschärft diese Kritik am Fasten als selbstzentrierte religiöse Übung noch (Matthäus 6,16–18). Zum Fasten gehört die Ausrichtung auf den Nächsten! Von daher besitzt der Gebrauch des Fastens als politisches Mittel durchaus eine biblische Begründung. Allerdings verkommt es ohne die Berücksichtigung der spirituellen Dimension zum Druckmittel in der tagespolitischen Auseinandersetzung.

Die vielen Ersatzbefriedigungen aus der Hand legen

Altes Testament und Urchristenheit gehen davon aus, dass das Fasten die Ernsthaftigkeit des Gebets unterstützt (Ester 4,16 f.; Markus 9,29). Als ob es die Wirksamkeit des Gebets erhöht! Viele biblische Erzählungen zeigen außerdem, dass das Fasten die Sensibilität für Gottes Wort und seinen Willen fördert, eine Art Vorbereitung für die Begegnung mit Gott darstellt.

Fasten ist eine spirituelle Praxis. Foto: unsplash.com

Neben der Bedeutung für die Beziehung zu Gott hat das Fasten auch Folgen für die Selbstsicht des Fastenden. Beim Fasten legt der Mensch die vielen Ersatzbefriedigungen aus der Hand, die ihn betäuben und blind machen gegenüber seiner eigenen Realität.

Er wird dadurch in die Lage versetzt, sich so zu sehen, wie er wirklich ist, und braucht nicht länger vor sich selbst davonzulaufen. Indem der Fastende seine Wünsche und Begierden aus der Hand gibt, macht er deutlich, dass letztlich nur Gott selbst seinen Hunger und seine Sehnsucht nach Leben zu stillen vermag.

„Im Fasten erkennt der Mensch seine Geschöpflichkeit an, den Spalt des Nichts, der in seiner Existenz klafft, und betet Gott als seinen Schöpfer an, der allein seinen Mangel an Sein beheben kann als das unendliche und ewige Sein.“ – der Theologe Sören Kierkegaard, 1813–1855

Frei werden für Buße und Umkehr

Indem Fastende das Selbstverständliche durchbrechen, werden sie vor Lebensüberdruss bewahrt. Sie gewinnen einen Raum, in dem Neues wachsen kann. Sie werden frei für Buße, für Umdenken und Umkehr. Das Alte Testament hebt diese Dimension des Fastens besonders hervor: Die Bewohner von Ninive z. B. reagieren auf die Bußpredigt des Jona, indem sie fasten, und erleben so Gottes Barmherzigkeit (Jona 3,5).

Schließlich verändert Fasten auch die Wahrnehmung der Welt. Es stellt einen Protest gegen jede Form von Materialismus und damit gegen die Tyrannei des Sichtbaren dar. Es verschafft dem Fastenden den nötigen Freiraum, um sich mit den Dingen der unsichtbaren Welt Gottes zu beschäftigen.

Formen des Fastens

In den vergangenen Jahren ist eine Reihe von Formen des geistlichen Fastens erprobt worden. Es bietet sich an, zunächst Erfahrungen der kirchlichen Tradition aufzugreifen. Die traditionelle 40-tätige Fastenzeit vor Ostern hat im evangelischen Raum durch die Aktion „Sieben Wochen ohne“ neue Bedeutung gewonnen.

Während dieser Zeit kann auf die unterschiedlichsten Gewohnheiten verzichtet werden: auf Alkohol, Fernsehen, Süßigkeiten, Fleischgenuss. Daneben bietet sich die Karwoche für den Verzicht auf Nahrungsaufnahme zur Vorbereitung auf die Osterzeit an.

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Denkbar sind auch Formen gemeinsamen Fastens etwa von Kirchenvorständen, z. B. wenn schwerwiegende Probleme in der Gemeinde auftreten. Es hat sich als hilfreich erwiesen, zunächst in Gemeinschaft mit anderen Fasten-Erfahrungen zu sammeln, bevor man sich allein auf den Weg macht.

Dabei bietet sich die Teilnahme an einer Fastenwoche mit einem Fastenbegleiter an. Solche Wochen werden inzwischen von vielen kirchlichen Einrichtungen angeboten. Auf diese Weise bleiben einem manche unliebsamen Überraschungen erspart, gerade was die medizinischen Implikationen des Fastens betrifft.

Chancen und Gefahren

Es soll nicht verschwiegen werden, dass das Fasten auch Gefahren birgt. Von der Gesetzlichkeit war bereits die Rede. Dazu kommt die Erkenntnis, dass ein rein medizinisch verstandenes Fasten häufig das Gegenteil erreicht: Es macht dick, weil es dem Fastenden nicht hilft, aufgrund einer erneuerten Frömmigkeit zu einer Veränderung seines Lebensstils zu finden.

Dadurch führt die Fastenkur bloß zur Bekämpfung der Symptome des Übergewichts; die Ursachen bleiben unhinterfragt. Eine weitere Gefahr liegt darin, dass die Angst, etwas Giftiges zu essen, zum beherrschenden Motiv wird. Das ist angesichts der permanenten Lebensmittelskandale zwar verständlich; dennoch darf dieses Motiv für ein spirituell verstandenes Fasten nicht ausschlaggebend sein.

Das Fasten bei einer Bulimie (Ess-Brechsucht) kann durch Lebensverneinung motiviert sein. Symbolbild: unsplash.com

Problematisch ist das Fasten auch dort, wo mit ihm eine Verneinung des Leibes verbunden ist. Hier kann die Grenze zur Bulimie (Ess-Brechsucht) bereits überschritten sein. Schließlich kann das Fasten durch Lebensverneinung motiviert sein. Weil so viele Menschen hungern müssen, gönnt man sich selbst nichts mehr. Auf diese Weise zerstört das Fasten die Dankbarkeit gegenüber Gott für die vielen guten Dinge, die er täglich zur Erhaltung des Lebens gibt.

Kampagnen zur Fastenzeit

Einen aktuellen Beitrag über kirchliche Kampagnen zur Fastenzeit lesen Sie hier.

Es braucht eine positive Grundmotivation

Gegenüber all diesen Motiven darf beim spirituell verstandenen Fasten nicht vergessen werden, dass das Neue Testament im Gegensatz zur Abwertung des Körpers in der griechischen Philosophie eine bemerkenswerte Aufwertung des Leibes erkennen lässt (1. Korinther 6,12–20). Wie jede Form christlichen Verzichts sollte auch das spirituell verstandene Fasten aus einer positiven Grundmotivation gespeist sein: freier zu werden für Gott und den Nächsten.

Der Professor für Praktische Theologie an der Theologischen Fakultät der Universität Leipzig, Peter Zimmerling. Foto: Universität Leipzig

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