Frei-/Kirchen
EKD-Rettungsschiff: Kritikern wird „das Christsein abgesprochen“
08.11.2020
Berlin (idea) – Das von der EKD ins Mittelmeer geschickte Rettungsschiff „Sea-Watch 4“ sorgt für innerkirchliche Kontroversen und Kirchenaustritte. Die „Welt am Sonntag“ lässt Kritiker und Befürworter in einem Beitrag unter der Überschrift „Das Kreuz mit dem Schiff“ zu Wort kommen.
Der Leipziger Rechtsanwalt und EKD-Synodale Till Vosberg beklagt, dass Gegnern des Projekts „das Christsein abgesprochen“ werde. Er wurde nach eigenen Angaben mit dem Satz konfrontiert „Wie kannst du als Christ gegen das Schiff sein?“ Laut Vosberg hat er bisher etwa 100 Briefe und E-Mails von Personen erhalten, die deshalb aus der Kirche ausgetreten seien oder „drauf und dran“, das zu tun.
„Wer kümmert sich um die Seelennot derer, denen das Christsein abgesprochen wird?“
Außerdem hätten sich „rund zehn hochrangige Führungsleute der EKD“ bei ihm gemeldet, die seine Kritik am Kurs der Kirche teilten. Vosberg: „Die Kirche kümmert sich um die Seenot auf dem Mittelmeer – aber wer kümmert sich um die Seelennot von Christen, denen das Christsein abgesprochen wird?“ Das seien „fromme Leute“, die aber in der Migrationsfrage konservativer dächten als die rot-grüne Mehrheit auf Kirchentagen: „Die sind nicht gegen Seenotrettung, aber dagegen, dass die Kirche Leute nach Europa schifft, die gar keinen Asylanspruch haben.“
Pastorin: Mich stört die Eventisierung des Leids
Auch die Pastorin der Epiphanias-Gemeinde in Hannover, Hanna Jacobs, äußert sich kritisch. Die „Welt am Sonntag“ zitiert sie mit den Worten: „Mich stört die Eventisierung des Leids anderer Menschen – sich selbst zum Retter zu stilisieren.“ Sie verstehe jeden, der nach Europa möchte. Aber so einfach, wie es sich manche machten, sei es nicht: „Wir sind Christen, also kaufen wir jetzt ein Schiff. Und weil wir als Christen in der Not helfen, ist alles, was wir tun, richtig und darf nicht hinterfragt werden.“
Die Rettungsaktion nehme auch „systemische Auswirkungen in Kauf. Man weiß, Schlepper rechnen damit, dass die Menschen, die sie in die Boote setzen, daraus gerettet, von Schiffen aufgenommen und nach Europa gebracht werden“. Jacobs zufolge gilt man „schnell als rechts“, wenn man die Euphorie anzweifle. Sie habe auch Zustimmung zu ihrer Kritik an der Rettungsmission bekommen, die sie nicht erwartet habe: „Aber das sind leise gesagte Worte, die Unterstützer sind lauter.“
EKD-Ratsvorsitzender: Ohne das Schiff wären 353 Menschen nicht mehr am Leben
Der EKD-Ratsvorsitzende, Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm (München), verteidigt das Hilfsprojekt. Gleich beim ersten Einsatz seien 353 Menschenleben gerettet worden. „Das sind Menschen, die wären nicht mehr am Leben, wenn es dieses Schiff nicht gegeben hätte“, sagte er gegenüber der Zeitung. Zugleich räumt er ein: „Natürlich ist es keine Lösung, dass die Menschen über diese lebensgefährlichen Wege und übers Asylverfahren, das dafür gar nicht gedacht ist, versuchen, aus ihrer Armut herauszukommen.“ Im großen Paket, das zu Migration, Flucht und Asyl geschnürt werden müsse, „ist die Seenotrettung nur ein ganz kleiner Punkt“.
Bedford-Strohm will mit Kritikern im Gespräch bleiben. Er appelliert an sie: „Lasst uns darüber reden, was der beste Weg ist, diese Probleme anzugehen. Wie wir Fluchtursachen in Afrika beseitigen, um die Leute in ihren Ländern zu halten.“ Aus dem christlichen Glauben heraus könne man auch zu anderen Ergebnissen kommen, als die Finanzierung des Schiffes zu unterstützen, „aber dieser Glaube ist schon die Grundlage“. Alles andere sei ergebnisoffen.
Die „Sea-Watch 4“ war ab Mitte August im Mittelmeer unterwegs und ist seit dem 20. September auf Anordnung der italienischen Behörden in Palermo festgesetzt. Das ehemalige Forschungsschiff „F.S. Poseidon“ war im Januar vom Bündnis „United4Rescue“ mit Spendengeldern ersteigert und im Februar in Kiel getauft worden. Das Bündnis entstand auf Initiative der EKD. In ihm haben sich mehr als 550 Organisationen und Institutionen zusammengeschlossen.“
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