Gesellschaft
Corona-Krise: Publizistin kritisiert christliche Lebensschützer
19.12.2020
Hamburg/Stuttgart (idea) – Scharfe Kritik an christlichen Lebensschützern im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie hat die Publizistin Liane Bednarz (München) geübt. Sie machten in der Corona-Krise Stimmung gegen die Schutzmaßnahmen, schreibt sie in der Online-Ausgabe des „Spiegel“ (Hamburg) unter der Überschrift „Lebensgefährliche ‚Lebensschützer‘“.
Daran beteilige sich beispielsweise der frühere Generalsekretär der Deutschen Evangelischen Allianz, Hartmut Steeb (Stuttgart). Der 67-Jährige engagiert sich seit Jahrzehnten für das Lebensrecht ungeborener Kinder.
Er ist 1. Vorsitzender des Netzwerks „Treffen Christlicher Lebensrecht-Gruppen“ und 2. Vorsitzender des Bundesverbandes Lebensrecht. Steeb sei „eine wichtige Stimme in evangelikalen Milieus“, so Bednarz. Sie verweist auf dessen Äußerungen vom November gegenüber „dem in seinem Milieu beliebten Wochenmagazin ‚ideaSpektrum‘“ (Wetzlar).
Er hatte die Ansicht vertreten, dass keine epidemische Notlage bestehe und die Wirksamkeit der Maßnahmen gegen Corona nicht nachgewiesen sei. In der Pandemie gebe es bisher weniger Tote als 2019 und 2018.
Das Durchschnittsalter der an Corona Verstorbenen betrage 82 Jahre, während das Durchschnittsalter der 2019 Verstorbenen „nur“ 79 Jahre gewesen sei. Bednarz dazu: „Auf die Idee, dass die bisherigen Schutzmaßnahmen Schlimmeres verhindert haben, kommt Steeb anscheinend nicht.
Dementsprechend ist von Warnungen vor dem Virus, von Forderungen zur Rücksichtnahme angesichts der jüngsten Rekordzahlen von Neuinfektionen und Toten sowie einer inzwischen eingetretenen Übersterblichkeit bei diesem ‚Lebensschützer‘ nach wie vor nichts zu sehen.“
Bednarz: Gegenwind für Steeb aus evangelikalen Kreisen
Steeb bekomme jedoch Gegenwind „und zwar aus dezidiert frommen, evangelikalen Kreisen“. Denn die evangelikale Szene sei „längst heterogen“. Es gebe „viele Stimmen, die sich gegen den Rechtsdrall und die Agitation gegen die Corona-Beschränkungen wenden“.
So sei die Deutsche Evangelische Allianz „auf konträren Kurs“ zu ihrem früheren Generalsekretär und habe Anfang November eine Stellungnahme unter dem Titel „Verantwortung wahrnehmen und Freiheit gestalten – mit Rücksicht auf den Nächsten“ publiziert.
Laut Bednarz haben sich viele jener Christen, „die sich als besonders fromme ‚Lebensschützer‘ verstehen“, in der Corona-Krise „ohne Not in beschämender Weise diskreditiert und so letztlich der ‚Querdenker‘-Szene genutzt“.
Der Autorin zufolge machen auch führende Vertreter „des gen rechts ausfransenden katholischen Milieus“ gegen die Corona-Schutzmaßnahmen mobil. Dazu gehöre allen voran Hedwig von Beverfoerde, „Frontfrau“ des Netzwerks „Demo für Alle“ (Magdeburg). Dessen Leitspruch lautet „Ehe und Familie vor! Stoppt Gender-Ideologie und Sexualisierung unserer Kinder“.
Gegen „trotziges Beharren“ auf Präsenzgottesdiensten
Bednarz kritisiert ferner das „trotzige Beharren“ vieler auf der Durchführung von Präsenzgottesdiensten einschließlich gemeinschaftlichen Gesangs als befremdlich: „Denn gerade jetzt könnte zu Hause das eigene kontemplative Leben in Form von stillem Gebet und intensiver Bibellektüre ausgebaut werden.
Doch von einem derart vorbildlichen ‚Lebensschutz‘ gegenüber den von der Pandemie Bedrohten, von Kargheit, Verzicht und Disziplin war und ist bei einem großen Teil dieser sich für konservativ und fromm haltenden Leute wenig bis nichts zu sehen.“
Steeb: Einseitige Fixierung auf Corona ist „lebensgefährlich“
Steeb weist die Kritik von Bednarz zurück, dass Lebensschützern der Schutz Geborener nicht wichtig erscheine. Das scheine aus ihrer Sicht vielleicht so zu sein, aber dieser Schein „trügt gewaltig“. Steeb verweist darauf, dass in diesem Jahr von allen Verstorbenen weltweit weniger als drei Prozent an und mit Corona gestorben seien.
Durch eine einseitige Fixierung auf Corona werde man deshalb schuldig an vielen lebenden Menschen. „Das ist wirklich ‚lebensgefährlich‘ und tödlich, für viel zu viele Menschen“, erklärte Steeb auf Anfrage der Evangelischen Nachrichtenagentur idea.
„Lockdownpolitik“ führt zu mehr Hunger
Die „Lockdownpolitik“ anstelle des gezielten Schutzes Kranker und Alter schaffe weltweite Kollateralschäden, die man noch nicht übersehen könne. „Wo bleibt da die Weltverantwortung?“, fragt Steeb.
Der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Gerd Müller (CSU), habe infolge dieser Politik bereits von einer Hungerpandemie gesprochen. Allein im zweiten Quartal des Jahres seien laut der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) rund 305 Millionen Vollzeitstellen weltweit verloren gegangen.
Betroffen seien vor allem Tagelöhner, Leiharbeiter und Scheinselbstständige. Laut ILO-Direktor Guy Ryder bedeute das für Millionen Arbeiter keine Essen, keine Sicherheit und keine Zukunft.
Im Blick auf die Kritik von Bednarz schreibt Steeb: „Wenn sie sich intensiver mit den Fakten anstatt mit Vermutungen befassen würde, würde das zu einer sachlichen Auseinandersetzung helfen.“ Nach seinen Worten eignet sich Corona nicht für „Stimmungsmache“: „Dafür ist die Sachlage viel zu ernst.“
Aber man brauche auch in ernsten Zeiten einen offenen Diskurs über politische Ermessensfragen. Steeb ging auch auf Aussagen von Politikern ein, dass die Zahl der Corona-Toten in Deutschland einem täglichen Flugzeugabsturz entspräche und alle drei Minuten ein Mensch an Corona sterbe.
Dies treffe von den Zahlenverhältnissen zwar zu, werde aber zur „Angst-Stimmungsmache“ benutzt. Wenn man allerdings dagegen halte, dass hierzulande in drei Minuten immer fünf bis sechs Menschen sterben, dann werde nicht Stimmung gemacht, sondern informiert und eingeordnet.
Auf einen Verstorbenen weltweit kommt fast eine Abtreibung
Steeb vertritt ferner die Ansicht, dass der Schutz ungeborener Kinder ein „absolutes Topthema“ bleiben muss. Derzeit gingen die Statistiker von etwa 55,5 Millionen Todesfällen in aller Welt für 2020 aus. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) rechne jährlich mit 57 Millionen Abtreibungen weltweit.
Das bedeute, so Steeb: „Auf jeden Verstorbenen kommt fast ein Mensch, der durch menschliches Handeln getötet wird, noch bevor er das Licht der Welt erblickt hat. Das ist das größte Unrecht, dass derzeit an menschlichem Leben verübt wird.“
Ex-Allianzvorsitzender Diener unterstützt Bednarz
Der frühere Vorsitzende der Deutschen Evangelischen Allianz, Michael Diener (Kassel), der auch dem Rat der EKD angehört, hat den Beitrag von Bednarz begrüßt. Er hatte von 2012 bis 2016 an der Spitze des evangelikalen Netzwerkes gestanden.
Auf Facebook schrieb er: „Es ist kein Geheimnis, dass unterschiedliche Grundprämissen über Glaube, Gesellschaft und Leben das Miteinander des einstigen Generalsekretärs der Evangelischen Allianz Deutschland, Hartmut Steeb, mit mir als Vorsitzenden bis Ende 2016 deutlich erschwert haben.“
Wohin derartige Unterschiede führen könnten, verdeutliche „der gut recherchierte Artikel von Liane Bednarz“. Diener: „Ich bedaure diese Entwicklung zutiefst, auch wenn sie mich nicht wirklich überrascht.“
Er teile „die Genugtuung“ der Autorin darüber, dass sowohl die Deutsche Evangelische Allianz mit den jetzigen Verantwortlichen als auch zum Beispiel die ChristusBewegung in Württemberg „hier einen ganz anderen, im tiefsten Sinne wirklich lebensdienlichen Kurs verfolgen“.
Im Hauptamt war Diener von 2009 bis 2020 Präses des Evangelischen Gnadauer Gemeinschaftsverbandes (Vereinigung Landeskirchlicher Gemeinschaften).
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