Bericht
Gerade jetzt gesund führen
14.06.2021
Die Corona-Krise hat ein neues Schlaglicht auf die Gesundheit von Mitarbeitern und Führungskräften in Unternehmen geworfen. Krankheitsfälle und Existenzängste, aber auch Doppelbelastungen mit Homeoffice und Kinderbetreuung machen vielen zu schaffen. Wie gelingt gerade jetzt ein gesunder Führungsstil? Von Lisa Tauscher.
Zahlreiche Studien belegen, wie stark sich das Verhalten von Führungskräften auf die Gesundheit von Mitarbeitern auswirkt. Es kann ihr Wohlbefinden steigern, ihr Risiko von Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Burn-outs verringern – oder das Gegenteil bewirken. Doch wann ist ein Führungsstil gesund? „Dann, wenn Führungskräfte einen Blick haben für das Thema Gesundheit – für sich selbst genauso wie für die Mitarbeiter“, erklärt Unternehmensberaterin Wiebke Böhmer. Sie unterstützt Unternehmen und Organisationen seit Jahrzehnten bei Gesundheits- und Zukunftsthemen. Aus Erfahrung weiß sie, dass Führungskräfte ihre Gesundheitsrisiken und -ressourcen zunächst selbst gut kennen und vorbildlich damit umgehen sollten. „Das heißt auch, dass ich als Vorbild klar zum Thema Krankheit stehe: Wer krank ist, bleibt zu Hause!“
Ressourcen stärken
Dabei hat Krankheit im Arbeitskontext immer häufiger auch psychische Ursachen, allen voran eine hohe Stressbelastung. „Stress per se ist nicht schlecht“, so Böhmer. Außerdem könnten gerade Führungskräfte anstrengende Zeiten nicht immer verhindern. Spannend sei vielmehr, ob es gelinge, Stress und Ressourcen in Balance zu halten. „Je mehr ich bewältigen muss, desto stärker sollte ich auftanken und mich um mein Wohlbefinden kümmern.“ Zu diesem Auftanken können Gebet und Stille Zeit genauso gehören wie eine Runde zu joggen oder gute Gespräche führen. Ressourcen und Stressempfinden sind von Mensch zu Mensch verschieden. Daran sollten Führungskräfte denken, rät Böhmer: „Sie vergessen manchmal, dass nicht alle so sind wie sie selbst.“ Jeder Beschäftigte habe unterschiedliche Bedürfnisse und Motivationen. „Je besser ich aber selbst wahrnehme, wo meine Ressourcen und Stressfaktoren liegen, desto besser gelingt mir das auch bei meinen Mitarbeitern“, erklärt die Beraterin. Doch wie können Führungskräfte auf deren Risiken und Ressourcen eingehen?
Wichtig sei zunächst, so Böhmer, überhaupt Interesse an den Mitarbeitern und ihrer Gesundheit zu zeigen, ihnen Wertschätzung und Anerkennung zu vermitteln. Es brauche eine Vertrauensbasis, um über Gesundheitsthemen sprechen zu können. Geht es um die körperliche Gesundheit, können bei Bedarf im Gespräch Wege zur Unterstützung erarbeitet werden. Genauso können Führungskräfte positiv auf psychische Faktoren wie Stress einwirken, etwa durch klar definierte Rollen und Aufgaben oder durch die gemeinsame Priorisierung besonders relevanter Aufgaben.
Selbstorganisation stärken
Zudem gehört zu einem gesunden Arbeits- und Führungsstil auch eine räumliche und zeitliche Abgrenzung zwischen Beruf und Privatleben. Hier schafft die Corona-Krise mit Homeoffice und Doppelbelastungen neue Herausforderungen. Böhmer: „Wenn alles entgrenzt ist, ich vielleicht kein eigenes Büro habe und Arbeit mit nach Hause nehme – dann ist das bewusste ‚Feierabend-Machen‘ für viele schwierig.“ Doch es gäbe auch hierfür gute Strategien. Wenn der Arbeitstag vorbei ist, werden Arbeitsmittel an einen eigenen Platz geräumt, rät sie. Auch für das Homeoffice kann man sich wie für den Tag im Büro kleiden und das Outfit am Ende des Tages gegen Freizeitkleidung tauschen. „Hier ist Selbstorganisation wichtig“, so Böhmer. Sie rät Führungskräften, ein Bewusstsein dafür zu schaffen und wertschätzend bei Mitarbeitern nachzufragen. Etwa: „Wie organisiert Ihr Euch zu Hause? Wie gestaltet Ihr das Arbeiten im Homeoffice? Wie schafft Ihr Homeschooling und Kinderbetreuung neben dem Beruf? Wo liegen weitere Herausforderungen – und wie kann ich unterstützen?“ Wichtig seien darüber hinaus klare Regelungen für Erreichbarkeit und Kommunikation.
Hybrides Arbeiten auch in Zukunft
Studien legen nahe, dass sich Homeoffice und mobiles Arbeiten langfristig auch positiv auf das Wohlbefinden von Mitarbeitern auswirken können. Voraussetzungen sind entsprechende technische Rahmenbedingungen und gut etablierte digitale Kompetenzen. Laut „Social health@work“, einer Studie der Krankenkasse Barmer in Kooperation mit der Universität St. Gallen, schätzen mobil Arbeitende ihre psychologische Sicherheit und Arbeitsfähigkeit, ihren Schlaf und ihre Produktivität während der Pandemie besser ein als ihre Kollegen vor Ort. Immer mehr Unternehmen und Beschäftigte planen, Homeoffice und Arbeiten im Büro auch langfristig miteinander zu kombinieren.
Konflikte zwischen Arbeit und Privatleben sowie Stressfaktoren werden zwar auch zukünftig sicherlich Herausforderungen für Führungskräfte bleiben, doch gleichzeitig wird ein gesunder Führungsstil immer selbstverständlicher werden, ist Wiebke Böhmer überzeugt. „In Zeiten von Fachkräftemangel kann es sich kein Unternehmen leisten, auf gesunde Führung zu verzichten. Letzten Endes haben Mitarbeiter wie Führungskräfte ein gegenseitiges Interesse daran, dass es allen miteinander gutgeht.“