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Zum Tod von Papst Benedikt: Ein Leben im Dienst am Evangelium

31.12.2022

Benedikt XVI. verstarb am 31. Dezember 2022. Foto: pixabay.com
Benedikt XVI. verstarb am 31. Dezember 2022. Foto: pixabay.com
Papst em. Benedikt XVI. ist tot. Er verstarb am 31. Dezember im Alter von 95 Jahren im Vatikan. Ein Nachruf von Prof. Christoph Raedel.

Katholiken in aller Welt betrauern den Tod des emeritierten Papstes Benedikt XVI. Geboren im bayrischen Marktl in der Osternacht des Jahres 1927, entstammte Joseph Ratzinger, so sein bürgerlicher Name, einfachen Verhältnissen. Das Studium der Theologie und Philosophie führt ihn zunächst nach Freising, dann nach München. 1951 empfängt er die Priesterweihe, zwei Jahre später wird er zum Doktor der Theologie promoviert.

Der junge Theologe bringt es zu akademischem und kirchlichem Ansehen, wenn auch seine Karriere nicht ohne Hindernisse verläuft. Gleichwohl finden wir ihn 1966 auf dem Lehrstuhl für Katholische Dogmatik in Tübingen, ab 1969 an der Universität Regensburg. Das Zweite Vatikanische Konzil erlebt Ratzinger als Berater von Kardinal Frings. 1977 wird er zum Erzbischof von München und Freising ernannt, 1981 ruft ihn Papst Johannes Paul II. an die Spitze der Glaubenskongregation nach Rom. 2005 wird Ratzinger, schon im vierten Wahlgang, zum Oberhaupt der Katholischen Kirche gekürt.

In seiner Predigt zur Amtseinführung sagt Benedikt XVI. unter anderem: „Betet für mich, dass ich nicht furchtsam vor den Wölfen fliehe.“ Der neu gewählte Papst sieht in Kirche und Gesellschaft die Zeichen der Zeit nicht auf Konsens, sondern auf Konflikt gestellt. Er rechnet mit Widerspruch – und bekommt ihn.

Wofür evangelische Christen dankbar sein können

Vielen Beobachtern gilt Papst Benedikt XVI. als „Betonkopf“, als eisenharter Bewahrer der überlieferten katholischen Lehre. Er selbst sieht sich Zeit seines Lebens als Hirte des Gottesvolkes und Zeuge für die Wahrheit des Evangeliums von Jesus Christus.

Wofür können evangelische Christen im Blick auf das Leben und Wirken Joseph Ratzingers dankbar sein, eingedenk dessen, dass es zwischen den evangelischen Kirchen und der römisch-katholischen Kirche weiterhin tiefgreifende Lehrdifferenzen gibt? Drei Punkte möchte ich in dankbarer Anerkennung nennen:

Es ging Ratzinger um Jesus Christus

Dem Theologen und Christen Ratzinger ging es um die Person des menschgewordenen Gottessohnes, um Jesus Christus. Die drei Bände seines Buches „Jesus von Nazareth“ führen ins Herz des christlichen Glaubens.

Der Papst zeigte sich überzeugt: Jesus Christus will, „dass wir ihm glauben. Dass wir uns von Ihm führen lassen. Dass wir mit Ihm leben. Und so immer mehr Ihm ähnlich werden.“

Der Jesus, zu dem sich Ratzinger in seinem Werk bekennt, ist nicht die blutleere Gestalt moderner theologischer Entwürfe, sondern der leiblich auferstandene Herr, der das Volk Gottes der Vollendung entgegenführt.

Gründliche Arbeit am Bibeltext und leidenschaftliche Liebe zum Herrn der Kirche verschmelzen bei Ratzinger auf ergreifende Art zur theologischen Meditation der biblischen Botschaft.

Ohne Gott verliert der Mensch Mitte und Maß

Dem verstorbenen Papst ging es zweitens um die Wahrheit der menschlichen Person. Denn wo nicht mehr nach Gott gefragt wird, verliert der Mensch Mitte und Maß seines Handelns.

Daran erinnerte Papst Benedikt 2011 die Abgeordneten des Deutschen Bundestages, als er in seiner Rede die allgemein anerkannte Bedeutung der Ökologie ansprach, um dann fortzufahren: „Es gibt auch eine Ökologie des Menschen. Auch der Mensch hat eine Natur, die er achten muss und die er nicht beliebig manipulieren kann.“

Wenn der Mensch nicht mehr um seine Natur bzw. Bestimmung weiß, wird er zum Gefangenen hochentwickelter Technologien. Seine Unfreiheit: nicht mehr Nein sagen zu können zu deren Anwendung. Die Freiheit des Menschen besteht gerade darin, etwas sein zu lassen, also Grenzen anzuerkennen.

Für die christlichen Kirchen gründet in dieser Einsicht auch der Auftrag, sich für den Schutz des menschlichen Lebens in jedem Lebensstadium einzusetzen.

Gegen „Diktatur des Relativismus“

Schließlich hat der Theologe Ratzinger sich entschieden der „Diktatur des Relativismus“ entgegenstellt. Scharfsichtig vermochte er zu erkennen, dass die Relativierung der Wahrheit nicht zur Befriedigung gesellschaftlicher (und theologischer) Konflikte führt, sondern zur Aufrichtung neuer freiheitsfeindlicher Totalitätsansprüche.

2010 stellt er in einem Interview fest: „Dass im Namen der Toleranz die Toleranz abgeschafft wird, ist eine wirkliche Bedrohung, vor der wir stehen.“

Das Ausmaß dieser Entwicklung, die Freiheit und den Frieden gefährdet, steht uns heute deutlicher vor Augen als noch vor zehn Jahren. Ausgrenzung erfährt, wer sich der Absolutsetzung des Relativismus widersetzt. Fast die Hälfte der deutschen Bevölkerung gibt 2022 an, sich öffentlich nicht frei äußern zu können.

Über Ratzingers Werk steht ein Vers aus dem Johannesevangelium

Überblickt man Joseph Ratzingers Werk, dann könnte man es als Kommentierung eines einzigen Bibelwortes verstehen: „Die Wahrheit wird euch frei machen“ (Johannes 8,32b). Dieser Verheißung müssen sich auch die christlichen Kirchen unterstellen.

Der emeritierte Papst wusste, dass die Wahrheit, die in Jesus Christus Mensch geworden ist, am glaubwürdigsten durch eine „entweltlichte“, das heißt ihrer staatlichen Privilegien entledigte Kirche bezeugt wird. Auch darin weist sein theologisches Denken über sein Leben hinaus.

Evangelische Christen müssen nicht römisch-katholisch werden, um anerkennen zu können, dass Joseph Ratzinger sein Leben in den Dienst am Evangelium gestellt hat.

Wir glauben ihn heimgegangen zu dem Herrn, auf den er im Leben und Sterben vertraut hat.

Prof. Christoph Raedel ist Professor für Systematische Theologie an der Freien Theologischen Hochschule (FTH) Gießen und Vorsitzender des Arbeitskreises für evangelikale Theologie. 2013 erschien von ihm als Herausgeber der Band „Mitarbeiter der Wahrheit“ – Christuszeugnis und Relativismuskritik bei Joseph Ratzinger/Benedikt XVI. aus evangelischer Sicht“ (Brunnen/ Edition Ruprecht).

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