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Bericht

Wie Gott in der Ukraine wirkt

24.02.2023

Während des Kriegs kommen viele Menschen zum Glauben – so wie hier ein Soldat, der sich taufen lässt. Foto: Roman Wecherkowsky
Während des Kriegs kommen viele Menschen zum Glauben – so wie hier ein Soldat, der sich taufen lässt. Foto: Roman Wecherkowsky

Pastor Valerij Antonjuk (53) ist Präsident des Baptistenbundes in der Ukraine. Anfang Februar 2023 war der verheiratete zweifache Familienvater für eine Konferenz in Deutschland. IDEA-Redaktionsleiterin Daniela Städter hat ihn in Köln getroffen.

Wenn Valerij Antonjuk auf die vergangenen zwölf Monate zurückblickt, dann durchziehen ihn viele Gedanken. Da ist die Verzweiflung über das unsägliche Leid. Da ist aber auch die Dankbarkeit für Gottes Nähe, für Wunder und Bewahrung.

Antonjuk und seine Familie lebten in Irpin. Es ist einer der Orte, der zu Beginn des Krieges traurige Berühmtheit erlangte, als russische Soldaten ihn mit unvorstellbarer Grausamkeit zerstörten und Menschen töteten. In der Nacht vor dem Angriff, am Abend des 23. Februar, hatte die Familie Antonjuk Irpin in Richtung Kiew verlassen. Das bewahrte sie vor großem Leid.

Antonjuk zeigt auf seinem Handy Fotos, die das Grauen in Irpin dokumentieren. 1.000 Grad heiße Geschosse, die Häuser in Staub verwandeln. Anfangs waren sie sich sicher: Auch Kiew wird fallen. „Doch Gott hat ein Wunder geschenkt“, sagt Antonjuk.

Valerij Antonjuk ist Präsident des Baptistenbundes in der Ukraine. Foto: Privat

Fliehen oder bleiben?

Die ersten Monate nach dem Kriegsausbruch waren für ihn und die anderen Verantwortlichen des Baptistenbundes vom Aufbau der Logistik geprägt: Wie kriegen wir die humanitäre Hilfe koordiniert? Wie bekommen wir die Güter ins Land und gut verteilt?

Denn das Land war in Aufruhr: Wehrfähige Männer wurden eingezogen, viele Frauen und Kinder flüchteten, auch manche Pastoren setzten sich ins Ausland ab, erzählt Antonjuk. Rund 220 Pastoren seien gegangen – rund 100 von ihnen mittlerweile wieder zurückgekehrt. Die geflohenen Pastoren waren im Bund ein umstrittenes Thema: „Ein Pastor hat bei seiner Herde zu sein“, sagt Antonjuk.

Mittlerweile hat sich diese innerkirchliche Front entschärft. Denn Millionen von Ukrainern sind im Ausland – und auch dort können die Pastoren nun eine wertvolle Arbeit leisten. Das Interesse an einer länderübergreifenden, guten Zusammenarbeit ist da.

Viele Menschen konnten in Kirchen unterkommen. Foto: Roman Wecherkowsky

„Gott wirkt Wunder“

Aber auch in der Ukraine werden alle Hände benötigt, sagt Antonjuk. Denn obwohl schätzungsweise rund 40 Prozent der Mitglieder des Baptistenbundes entweder im Ausland oder in den Westen der Ukraine geflohen sind: „Überall sind die Gemeinden voll, sogar in der Nähe der Frontlinie.“ Rund die Hälfte der Gottesdienstbesucher seien neu dazugekommen. „Gott wirkt auch hier Wunder“, sagt Antonjuk. Im vergangenen Jahr hätten sie mehr Menschen als sonst getauft, darunter viele, die vor dem Krieg noch nie eine evangelikale Gemeinde besucht hätten. „Das ist die andere Seite des Krieges“, sagt er.

Baptisten gründen Gemeinden

Und der Bund gründet neue Gemeinden, etwa in Tschernihiw. Mitten im Zentrum sollte eine neue Bank entstehen. Dann kam der Krieg. Der Besitzer entschied: Das Gebäude bekommen erst einmal die Baptisten unter ihrem Pastor Wladimir Wysozkij.

Jetzt ist es ein Knotenpunkt für humanitäre Hilfe und am Sonntag besuchen 120 Menschen den Gottesdienst. „Kirche statt Bank“, sagt Antonjuk und lacht: „Wer hätte das vor dem Krieg für möglich gehalten?“ Auch der Bürgermeister und die Stadtverwaltung haben sich für den Einsatz bedankt.

Die christlichen Gemeinden haben sich, so erzählt es Antonjuk, während der Kriegszeit einen exzellenten Ruf erarbeitet: Sie sind effektiv bei der Verteilung der Hilfsgüter. Sie seien effizienter als die Behörden – das würden Politik und Verwaltung anerkennen und auf die Kirchen und ihre mittlerweile ausgeklügelte Logistik setzen.

Keine Kirche verbieten

Nach Deutschland drang die Debatte durch, Präsident Wolodymyr Selenski wolle die Ukrainisch-orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats verbieten. Eine sinnvolle Idee? Antonjuk schüttelt den Kopf. Ja, es habe Priester gegeben, die mit der russischen Armee zusammengearbeitet hätten und auf deren Kirchengelände Lager eingerichtet wurden. Aber deswegen die ganze Kirche verbieten? Das gehe nicht. Die Strafen müssten sich konkret gegen die Priester richten, die kollaborierten.

80 Pastoren wurden 2022 ordiniert

Vor dem Krieg hatten die Baptisten in der Ukraine sieben Ausbildungsstätten. Die in Irpin wurde zerstört, die Häuser in Cherson und Odessa erst einmal aufgegeben. Geblieben sind die Häuser in Lwiw, Krementschuk, Saporischschja und Sakarpatje: „Die Ausbildung funktioniert“, sagt er stolz.

Gleich 80 Pastoren konnten im Kriegsjahr 2022 ordiniert werden. Noch ein Grund, dankbar zu sein. Über 100 Pastoren sind an der Front. Manche wurden eingezogen, andere gingen freiwillig. Auch als Militärgeistliche sind Baptisten unterwegs, andere arbeiten im medizinischen Dienst. Immer wieder gibt es Todesfälle zu beklagen. In den Gemeinden sind viele Witwen und Waisen. Gemeinden stellten Listen auf, um sie zu begleiten – finanziell und geistlich: „Dieses Leid hat die Gemeinden verändert.“

Einige Pastoren der Baptisten sind als Militärgeistliche tätig. Foto: Roman Wecherkowsky

Am Ende wird Jesus siegen

In all diesem Elend nimmt Antonjuk eine Ewigkeitsperspektive ein: Alles Leid werde eines Tages ein Ende haben. „In Kriegszeiten prüft Gott die Gemeinden. Der Krieg legt die Stärken und die Schwächen offen. Und am Ende aller Tage wird Jesus siegen.“ Schon jetzt beteten alle für Frieden, sagt Antonjuk. Es müsse jedoch ein Frieden sein, der mit einer kompletten Veränderung Russlands einhergehe.

Aber wie? „Die Wahrheit muss in Russland ans Licht kommen“, betont Antonjuk. Und ja, davon sei Russland noch weit weg. Er hat von russischen Pastoren gehört, die Bibeln mit einem „Z“ verteilten – das Erkennungssymbol der russischen Armee: „Diese Pastoren rufen wir eindringlich zur Buße auf.“ Eine schnelle Veränderung wäre ein von Gott geschenktes Wunder. Nach menschlichem Ermessen wird der Krieg andauern, sagt Antonjuk: „Wir Christen müssen mit Würde durch diese Zeiten gehen.“ 

Baptisten in der Ukraine

Zum Baptistenbund in der Ukraine gehören 2.300 Gemeinden, 2.100 Pastoren und rund 8.000 Diakone. Die Zahl der getauften Mitglieder beläuft sich auf 120.000. Über 30 Kirchengebäude wurden zerstört. Rund 450 Gemeinden befinden sich aktuell auf von Russland kontrolliertem Gebiet. Über 3.000 Tonnen mit Hilfsgütern (Kleidung, Medizin, Essen) konnten bislang über den ukrainischen Baptistenbund verteilt werden. Der Bund arbeitet u. a. mit dem Haus der Hoffnung, World Vision, Samaritan’s Purse, der Europäischen Baptistischen Föderation und dem Baptistischen Weltbund zusammen.

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