Frei-/Kirchen
Was der neue württembergische Landesbischof rät
19.07.2022
Wetzlar (IDEA) – Die evangelische Kirche muss intensiver in den Dialog mit ihren Mitgliedern eintreten und auch danach fragen, wie sie neue Mitglieder gewinnen kann. Dafür hat sich der neue Landesbischof der Evangelischen Landeskirche in Württemberg, Ernst-Wilhelm Gohl (Stuttgart), in einem Interview mit der Evangelischen Nachrichtenagentur IDEA (Wetzlar) ausgesprochen. Er wird am 24. Juli in Stuttgart in sein Amt eingeführt.
Zu der hohen Zahl von Kirchenaustritten sagte der 59-Jährige, es gebe „sicher hausgemachte Probleme“. Die Kirche müsse „einfach mal neue Dinge ausprobieren“ und mehr „niedrigschwellige Angebote“ machen. Es komme darauf an, die Menschen anzusprechen: „Das sind wir in der Kirche ja nicht so gewöhnt.“ Nötig sei zudem die klassische Bibelstunde: „Es ist wichtig, dass wir uns über die Texte der Bibel austauschen und entdecken, was wir für einen riesigen Schatz haben.“
Gohl zufolge sind noch nie so viele Menschen freiwillig in den Gottesdienst gegangen wie heute: „Früher ging man in die Kirche, damit man dort gesehen wurde. Heute muss man vor seinen Nachbarn begründen, warum man in die Kirche geht und nicht zum Joggen.“
Gohl: Ich kann mit dem Etikett „Kompromiss-Bischof“ leben
Ferner ging er auf die Umstände seiner Bischofswahl im März dieses Jahres ein. Er hatte nach dem zweiten Wahlgang seine Kandidatur zunächst zurückgezogen, stellte sich im fünften Wahlgang jedoch wieder zur Wahl. Die Synode habe sich nicht auf eine der beiden verbliebenen Personen einigen können, so Gohl. Deshalb habe der Nominierungsausschuss ihn als einzigen Kandidaten erneut auf die Wahlliste gesetzt. Er könne mit dem Etikett „Kompromiss-Bischof“ leben, so Gohl: „Wir erleben ja überall, wie polarisiert es oft zugeht. Jeder versucht, seine Meinung durchzusetzen, ohne nach rechts oder links zu schauen. Aber gerade in einer Demokratie sind Kompromisse wichtig – und in der Kirche auch.“
Die württembergische Landeskirche sei die einzige in Deutschland, in der die Kirchenmitglieder mittels Urwahl ihre Landessynodalen direkt wählen. Durch die vier Gesprächskreise in der Synode würden die unterschiedlichen Schwerpunkte deutlicher. Allerdings spiele eine Polarisierung im synodalen Alltag keine große Rolle. Es gebe sehr oft verbindende und die Gesprächskreise übergreifende Anträge. Gohl: „Nur kurz vor den Wahlen wird es positionell.“
Landeskirche profitiert vom Pietismus
Ferner äußerte sich Gohl zur Bedeutung pietistischer Gemeinden. Diese hätten mit ihren Frömmigkeitsformen „in der württembergischen Landeskirche natürlich ihren Platz“. Davon habe die Kirche schon immer profitiert: „Wir wollen uns nicht trennen, sondern uns unter dem Dach der Kirche in dieser Vielfalt möglichst breit aufstellen.“ Man müsse darüber diskutieren, auch Absolventen aus pietistisch geprägten Einrichtungen wie der Internationalen Hochschule Liebenzell in den Pfarrdienst zu übernehmen. Diese biete reguläre, staatlich anerkannte Abschlüsse an. Der Regelzugang zum Pfarramt laufe derzeit aber über die Universitäten. Gohl: „Wir brauchen gut qualifizierte Pfarrerinnen und Pfarrer und sollten ohne Denkverbote über weitere Zugänge nachdenken.“
Wie Gohl mit dem Unfalltod seines Sohnes Johannes umgeht
Gohl sprach im Interview auch über den Unfalltod seines dreijährigen Sohnes Johannes im Jahr 2001. Er war bei einem Urlaub am Gardasee ertrunken. Wie Gohl sagte, hat ihm sein christlicher Glaube dabei geholfen, den Tod seines Sohnes zu verarbeiten. Ihm sei aber immer klar gewesen, dass der Glaube kein Garant für ein gutes Leben ist. Zum Unfallhergang sagte er: „Ich habe im entscheidenden Moment nicht aufgepasst.“ Johannes habe mit seinem älteren Bruder gespielt; er selbst habe etwas im Rucksack gesucht. Plötzlich habe der ältere Bruder gefragt: „Wo ist Johannes?“ Er sei sofort zur Straße gerannt, aber dort habe er seinen Sohn nicht gefunden, so Gohl. Schließlich habe er ihn im Wasser gefunden. Er habe sofort versucht, ihn wiederzubeleben. Dann sei der Rettungshubschrauber gekommen. Im Krankenhaus sei das Beatmungsgerät ausgeschaltet worden.
Gohl: „Wir sind zu fünft in den Urlaub gefahren und zu viert zurückgekehrt. Der Kindersitz unseres Sohnes blieb leer.“ Zur Frage, ob er sich schuldig fühle, sagte Gohl: „Man denkt hundertmal, nein eigentlich dauernd darüber nach. Es passiert mir heute noch. Ich musste lernen, damit zu leben.“ Das schönste Wunder wäre es für ihn gewesen, wenn sein Sohn überlebt hätte. Gohl: „Es ist für mich aber auch ein Wunder, dass ich mit dieser Geschichte leben konnte. Das sehe ich als Geschenk.“ Zudem sei es für ihn eine große Hoffnung, seinen Sohn eines Tages wiederzusehen. „Ich habe mir um Johannes nie Sorgen gemacht. Ich halte ihn bei Gott für gut aufgehoben.“ Gohl leitete seit 2006 den ostwürttembergischen Kirchenbezirk Ulm. Die Evangelische Landeskirche in Württemberg ist mit knapp 1,9 Millionen Mitgliedern die fünftgrößte der 20 EKD-Gliedkirchen.
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