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Interview

Warum ich „Bengel“ geworden bin

22.04.2022

Frieder Gerber ist seit kurzem examinierter Theologe. Foto: privat
Frieder Gerber ist seit kurzem examinierter Theologe. Foto: privat

Frieder Gerber hat gerade sein Theologiestudium an der Universität Tübingen abgeschlossen. Im Interview mit Valentin Schmid berichtet er, wie ihm das Albrecht-Bengel-Haus dabei geholfen hat. Der Artikel ist zuerst in der IDEA-Spezialausgabe „Aus- und Weiterbildung“ erschienen.

IDEA:Warum haben Sie sich dazu entschieden, ins Bengel-Haus zu ziehen?

Gerber: Ich könnte jetzt ganz fromm sagen: „Ich war dazu prädestiniert.“ Doch das würde nicht ganz stimmen. Ich habe mich bewusst dafür entschieden, „Bengel“ zu werden, obgleich dieser Schritt recht naheliegend war: In meiner Verwandtschaft gibt es Bengel, ich bin ein Kind des württembergischen Pietismus. Nicht zuletzt dachte ich mir, dass ich wohl besser durchs Studium komme, wenn ich umgeben bin von Leuten, die die Hebräisch-Hausaufgaben schon vor mir gemacht haben.

IDEA:Was macht das Bengel-Haus besonders?

Gerber: Das Bengel-Haus ermöglicht Heimat. Junge Menschen, die alle Jesus liebhaben, leben und lernen hier gemeinsam im Austausch mit Hauslehrern, die auch Respektspersonen, aber vor allem Glaubensgeschwister sind.

Doch diese familiäre Atmosphäre ist noch kein Alleinstellungsmerkmal. In Tübingen gab es schon immer ein konstruktiv-kritisches Verhältnis des Bengel-Hauses zur Theologischen Fakultät. Man darf nicht vergessen: Das Bengel-Haus ist das Produkt eines massiven theologischen Konflikts Ende der 60er Jahre. Obgleich sich der Umgang deutlich verbessert hat, sind natürlich theologische Differenzen geblieben. Das Bengel-Haus versteht sich demnach weiterhin als Ergänzung und Korrektiv.

IDEA:Was bietet das Bengel-Haus seinen Studenten?

Gerber: Mit Fug und Recht geben die Hauslehrer den neuen „Bengeln“ zu verstehen, dass sie alle um das Privileg ihres Stipendiums wissen sollten. Denn jeder Bengel ist – nüchtern ausgedrückt – ein „Subventionsgegenstand“ oder – fromm und fröhlich formuliert – eine „himmlische Investition“.

Wir haben eine Bibliothek mit hauseigenem Bibliothekar, eine sehr fürsorgliche Hausmutter sowie Hauslehrer, die durch ihre Lehrveranstaltungen und ihre geistliche Begleitung einen besonderen Mehrwert ausmachen.

IDEA:Welche Berufsziele haben die Bewohner?

Gerber: Hier hat sich ein Wandel vollzogen. Der „klassische Bengel“ in den 70er Jahren war ein Mann aus Württemberg mit dem Ziel, Pfarrer zu werden. Heute gibt es auch weibliche Bengel aus Schleswig-Holstein mit dem Ziel Pfarramt. Viele studieren Jura, Biologie, Lehramtsfächer. Grob ein Viertel der Bengel sind inzwischen keine Theologen mehr.

Diesen Wandel kann man bedauern, oder man begreift ihn als Bereicherung und als Chance. Schließlich kann es gerade den Theologen nicht schaden, wenn sie regelmäßig geerdet werden und so an Menschenkenntnis zunehmen. Das ist später für den Gemeindedienst sehr wichtig: das Interesse am Werdegang und der Profession des anderen.

IDEA:Was haben Sie in Ihrer Zeit im Bengel-Haus gelernt?

Gerber: Mir war es stets wichtig, das Theologiestudium als existenzielle Angelegenheit zu begreifen, denn das Leben in der Nachfolge Jesu ist ganzheitlich zu verstehen. Wer ernsthaft Theologie treibt, wird immer seinen gesamten Lebensentwurf ins Spiel bringen müssen. Für die Lehre bedeutet das, dass sich die Aussagen von Katheder und Kanzel im Kern decken müssen.

Unsere Hauslehrer haben genau dies verkörpert: seriöses, wissenschaftliches Treiben und zugleich leidenschaftliche Christusverkündigung. Damit diese Botschaft aber auch bei den Menschen ankommt, gilt es, gelegentlich seinen frommen Zirkel zu verlassen. Allzu schnell wird bei uns eine bequeme fromme Subkultur herausgebildet. Manch einer vertritt sogar die Auffassung, er könne jetzt gediegen fünf, sechs Jahre im Elfenbeinturm studieren.

Einige denken, dass der „eigentliche Dienst“ erst nach dem Studium beginnt. Ich halte diesen Ansatz für falsch. Wir sind immer im Dienst, und das ist immer ein Vorrecht. Wir leben in einer bunten Stadt, in der wir nach Möglichkeit mitmischen sollten.

IDEA:Vielen Dank für das Gespräch!

Über das Albrecht-Bengel-Haus

Das Albrecht-Bengel-Haus, benannt nach dem schwäbischen Theologen Johann Albrecht Bengel (1687–1752), ist ein theologisches Studienhaus in Tübingen-Derendingen. Rund 120 Studenten können dort wohnen. Seit der Gründung im Jahr 1969 wurden hier über 1.000 junge Menschen fachlich und geistlich begleitet.

bengelhaus.de | 07071 70050

Das Albrecht-Bengel-Haus in Tübingen-Derendingen. Foto: Albrecht-Bengel-Haus

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