Menschenrechte
Syrien: Hilfswerke in Sorge wegen Vormarschs islamistischer Rebellen
02.12.2024
Christliche Hilfswerke haben sich angesichts des Vormarschs islamistischer Kräfte in Syrien besorgt geäußert und bitten um Gebet. Rebellen haben die im Norden des Landes gelegene Stadt Aleppo binnen weniger Tage eingenommen. Angeführt werden die Dschihadisten von der islamistischen Gruppe Hayat Tahrir al-Sham (HTS).
Experten sind überzeugt, dass die Türkei über den Vormarsch der Kämpfer nach Aleppo im Bilde war. So äußerte etwa der Leiter der syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte in Großbritannien, Ramy Abdel Rahman: „Die Türkei weiß über die Operation Bescheid, sie kennt ihre Einzelheiten und hat grünes Licht gegeben.“
Nach der Einnahme Aleppos durch die Rebellen kündigte Syriens Machthaber Baschar al-Assad eine Gegenoffensive an, unter anderem mithilfe seiner Verbündeten Russland und Iran. Russlands Luftwaffe griff erstmals seit 2016 wieder Ziele in Aleppo an, ebenso wie andere Ortschaften in Nordwestsyrien. Die vier NATO-Staaten USA, Deutschland, Frankreich und Großbritannien forderten die Konfliktparteien in Syrien zur Deeskalation auf.
CSI: Christen auf der Flucht
Der Geschäftsführer von Christian Solidarity International (CSI) in Deutschland, Pfarrer Peter Fuchs (München), berichtete auf Anfrage der Evangelischen Nachrichtenagentur IDEA, dass viele Bewohner Aleppos, insbesondere Christen, versucht hätten, in Richtung Homs zu fliehen, was zu Staus geführt habe. „Alle haben große Angst und fürchten nun nachfolgende schwere Kämpfe zwischen den Terroristen und der Regierungsarmee und deren Verbündeten“, so Fuchs.
Die Terroristen hätten den Christen gesagt, dass man ihnen nichts antun werde. Diese schenkten den Beteuerungen jedoch keinen Glauben, da sie wüssten, was die Dschihadisten den Christen in Idlib angetan hätten. So stammten zahlreiche Angreifer aus Idlib, wo die wenigen verbliebenen Christen Kopfsteuern zahlen müssten und massive Einschränkungen erlebten. In Aleppo seien die Sonntagsgottesdienste am 1. Advent weitgehend abgesagt oder hinter verschlossenen Türen gefeiert worden.
Fuchs fordert: „Die Menschen in Aleppo dürfen nicht der Willkür dschihadistischer Rebellen überlassen werden, die vom NATO-Mitglied Türkei unterstützt und ausgerüstet werden.“ Die Einwohner von Aleppo und insbesondere die Christen verdienten, dass der Westen sich auf ihre Seite stellt und für sie eintritt.
Aleppo: Kirchen für Schutzsuchende geöffnet
Der argentinische Ordensmann Hugo Alaniz (Aleppo) berichtete dem katholischen Hilfswerk „Kirche in Not“ (München), dass die örtlichen Kirchen für Schutzsuchende geöffnet seien, auch wenn sie dies zu einem potenziellen Angriffsziel mache.
Alaniz zufolge herrscht großes Gottvertrauen unter Christen. Die Geschäftsführende Präsidentin von „Kirche in Not“, Regina Lynch, rief zum Gebet „um Frieden, den Schutz der Schwächsten und ein schnelles Ende der Gewalt in einem Land, das bereits seit über einem Jahrzehnt unermesslich leidet“ auf.
Wie der Sprecher des Hilfswerks, André Stiefenhofer, gegenüber IDEA erklärte, steht es auch nach der Eroberung Aleppos weiter in Kontakt mit den Partnern und will Hilfe leisten, sobald dies möglich sei. „Kirche in Not“ hat seit Beginn des Syrien-Krieges im Jahr 2011 Projekte im Umfang von über 60 Millionen Euro unterstützt, darunter Wiederaufbauhilfe sowie Lebensmittel- und Medikamentenverteilungen.
Open Doors: In den Wohnungen verschanzt
Das überkonfessionelle Hilfswerk„Open Doors Deutschland“ (Kelkheim), teilte mit, dass viele Christen nicht mehr aus Aleppo herauskämen und sich nun in ihren Wohnungen verschanzten, äußerte Pressesprecher Jens Fischer.
Die internationale Hilfsorganisation humedica (Kaufbeuren) hat nach eigenen Angaben einen Hilferuf ihrer syrischen Partnerorganisation erhalten. Sie berichtet von katastrophalen Zuständen. Viele suchten in den Krankenhäusern Hilfe. Dort fehlten Ärzte und Medikamente.
Gesellschaft für bedrohte Völker: Deutsche Syrien-Politik ändern
Die Gesellschaft für bedrohte Völker (Göttingen) übte scharfe Kritik an der deutschen Syrien-Politik. Seit Beginn der syrischen Revolte 2011 hätten die Bundesregierungen unter Angela Merkel (CDU) und Olaf Scholz (SPD) „aus geopolitischen Interessen nicht auf demokratische, säkulare Kräfte, sondern auf Empfehlung Erdogans auf sunnitisch-islamistische Gruppen gesetzt“, erklärte der Nahostreferent der Organisation, Kamal Sido.
Mit dem Vormarsch der radikalen Islamisten auf die multiethnische und multireligiöse Metropole Aleppo und andere Städte drohe die ethnische, religiöse, kulturelle und sprachliche Vielfalt im Nordwesten Syriens endgültig zu verschwinden. Dort werde vorerst das islamische Recht der Scharia gelten. Die Gefahr von Gräueltaten und Massakern an Aleviten, Christen, Jesiden und Kurden sei groß.
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