Frei-/Kirchen
Sachsen: Ehemaliger Jugendwart des Missbrauchs beschuldigt
06.12.2021

Dresden (IDEA) – Der langjährige sächsische Jugendwart Kurt Ströer (1921–2013) wird des sexuellen und geistlichen Missbrauchs beschuldigt. Das teilte die Evangelisch-Lutherische Landeskirche Sachsens (EVLKS) am 4. Dezember mit. Vier dem Landeskirchenamt namentlich bekannte Betroffene hätten von wiederholten Übergriffen in ihrer Jugendzeit berichtet. Die Taten sollen sich in den 1960er und 1970er Jahren ereignet haben.
Bis zu seiner Pensionierung 1986 war Ströer 30 Jahre lang Jugendwart im Kirchenbezirk Chemnitz-Land (damals Karl-Marx-Stadt II). Er war Moritzburger Diakon und galt als einer der prägendsten Köpfe der kirchlichen Jugendarbeit in Sachsen. Wie die Landeskirche mitteilte, hat er oft gezielt seelsorgerliche Situationen ausgenutzt. Der sexuelle und geistliche Missbrauch belaste die Betroffenen bis heute.
2012 meldete sich erstmals ein Betroffener
Laut der EVLKS wandte sich bereits 2012 ein Betroffener an die Gemeinschaft Moritzburger Diakoninnen und Diakone, die das Landeskirchamt über die Vorfälle informiert habe. In einem Brief sei schließlich der Name des Täters benannt, und im März 2013 seien alle Mitglieder der Gemeinschaft informiert worden. Die Landeskirche habe alle Superintendenten darüber in Kenntnis gesetzt, um mögliche weitere Betroffene zu ermitteln.
Laut der Landeskirche haben die Betroffenen nach damaligen Regelungen Unterstützungsleistungen, etwa die Zahlung von Therapiekosten, erhalten und später auch die Möglichkeit, sich an eine Unabhängige Kommission zu wenden, die Leistungen zur Anerkennung erlittenen Leides durch sexualisierte Gewalt prüft.
Der Präsident des Landeskirchenamtes, Hans-Peter Vollbach (Dresden), erklärte, dass man zutiefst beschämt sei, dass sich die Taten im Raum der sächsischen Landeskirche ereignet hätten und nicht verhindert worden seien. Es sei wichtig, heute in den Kirchengemeinden und kirchlichen Einrichtungen dafür zu sorgen, dass Kinder und Jugendliche sowie andere Menschen vor solcher Gewalt geschützt werden.
Im Sommer hatte die Landessynode ein Gesetz zum Schutz vor sexualisierter Gewalt in der Landeskirche beschlossen. Wie weiter mitgeteilt wurde, soll der Fall Ströer durch eine unabhängige, wissenschaftliche Studie aufgearbeitet werden. Dabei wolle man klären, welche Strukturen und Rahmenbedingungen in der kirchlichen Jugendarbeit damals in der DDR dazu beigetragen hätten, dass Jugendliche Opfer solcher Taten wurden und diese bis 2012 unbekannt bleiben konnten.
Bretschneider: „Gravierende Schuld“
Unter dem Einfluss von Ströer entschieden sich mehr als 200 Jugendliche für den hauptamtlichen Dienst in der Kirche. Einige sind später in leitende Positionen gelangt, etwa Oberlandeskirchenrat i.R., Harald Bretschneider (Dresden). Wie er gegenüber der Evangelischen Nachrichtenagentur IDEA sagte, war ihm der Fall schon länger bekannt, weshalb er auch in seiner Predigt auf Ströers Beerdigung auf dieses Thema eingegangen sei. Ströer sei ein Mensch gewesen, der mit einem „enormen Einsatz und einer ungemeinen Begabung“ Menschen zu Christus habe führen können. Gleichzeitig habe er diese „gravierende Schuld“ auf sich geladen, so Bretschneider. Er habe ihn seit 1957 gekannt und als einen Seelsorger erlebt, von dem er sich gerne beraten ließ. Gleichzeitig gelte: „Wir müssen die Missbrauchsthematik ernstnehmen und wir dürfen es nicht verschweigen.“ Bretschneider zufolge hat Ströer in seinen letzten Lebensjahren mit Betroffenen reden können und um Vergebung gebeten.
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