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Missbrauch: Betroffene kritisieren Aufarbeitung in evangelischer Kirche

07.11.2021

Auf der digital tagenden EKD-Synode soll am 8. November über das Thema sexueller Missbrauch in der evangelischen Kirche diskutiert werden. Symbolbild: pixabay.com
Auf der digital tagenden EKD-Synode soll am 8. November über das Thema sexueller Missbrauch in der evangelischen Kirche diskutiert werden. Symbolbild: pixabay.com

Bremen (IDEA) – Scharfe Kritik an der Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch in der evangelischen Kirche haben mehrere Betroffene am 7. November in einer digitalen Pressekonferenz geübt. Anlass war die an dem Tag beginnende EKD-Synode.

Im Frühjahr 2021 hatte der Rat der EKD den im September 2020 gestarteten Betroffenenbeirat für die Opfer von sexuellem Missbrauch ausgesetzt. Grund dafür waren nach Angaben der EKD unter anderem Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Betroffenenbeirat und dem Gegenüber auf EKD-Seite – dem Beauftragtenrat – sowie finanzielle Ressourcen. Mehrere Mitglieder des Betroffenenbeirats traten deswegen zurück. Nun forderten sie und andere Betroffene in der Pressekonferenz einen Umgang auf Augenhöhe, eine verlässliche und auf professionellen Standards beruhende Beteiligung, Transparenz sowie eine staatliche Beteiligung bei der Aufarbeitung.

Pfarrer Spyra: Schäme mich für meine Kirche

Klaus Spyra, bayerischer Pfarrer i. R., berichtete, dass er als Kind vielfach durch einen Diakon der Rummelsberger Anstalten (heute Rummelsberger Diakonie) vergewaltigt worden war: „Ich war sein Lust- und Prügelknabe.“ Er wolle verhindern, dass Kinder erleben müssen, was er durchgemacht habe. Doch er erlebe in der evangelischen Kirche einen Unwillen, zu bereuen und Dinge zu ändern. Er schäme sich deswegen für seine Kirche.

Spyra kritisierte, dass eine angekündigte Evaluierung des EKD-Beauftragtenrats bislang nicht stattgefunden habe. Ferner forderte er die Unterstützung der EKD bei der Vernetzung der Betroffenen. Bisher hätten sich rund 900 Betroffene bei der EKD gemeldet. Es wäre auch unter Wahrung des Datenschutzes möglich gewesen, diese Vernetzung zu ermöglichen, äußerte Spyra. Doch die Kirche habe daran kein Interesse. Sie setze stattdessen auf eine „Vereinzelung“ der Betroffenen. Zudem müsse die Kirche mehr Geld für die Aufarbeitung zur Verfügung stellen. Die Mitarbeit im Betroffenenbeirat sowie der Aufbau eines Netzwerks von Betroffenen könne nicht ehrenamtlich stattfinden.

Katharina Kracht: Es hat sich „nichts oder nur wenig“ geändert

Die Pädagogin Katharina Kracht (Bremen) – sie ist ehemaliges Mitglied des Betroffenenbeirats – betonte, dass seit 2010 bekannt sei, dass in der evangelischen Kirche und der Diakonie Missbrauch stattgefunden habe. Der EKD gelinge es aber seit über einem Jahrzehnt, einen Mythos der „Einzelfälle“ aufrecht zu halten.

2018 habe sich die EKD-Synode in Würzburg endlich des Themas angenommen, die Hamburger Bischöfin Kirsten Fehrs habe eine emotionale Rede gehalten und es sei ein 11-Punkte-Plan formuliert worden. Tatsächlich habe sich in den vergangenen Jahren aber „nichts oder nur wenig“ geändert.

Kritik an Bedford-Strohm: Er hat das Thema sieben Jahre lang „verschlafen“

Kracht kritisierte ferner den scheidenden Ratsvorsitzenden, Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm (München). Wenige Tage vor dem Ende seiner Amtszeit gebe er sich plötzlich bei dem Thema selbstkritisch. Er habe aber das Thema sieben Jahre lang „verschlafen“. Dem derzeitigen Sprecher des EKD-Beauftragtenrats zum Schutz vor sexualisierter Gewalt, Landesbischof Christoph Meyns (Wolfenbüttel), warf sie unbeholfenes Verhalten vor. Er sei in dem Thema „nicht drin“.

Vereinsvorsitzender Fock: Es gibt in der EKD Täternetzwerke

Der Vorsitzende des Vereins „Gegen Missbrauch“, Ingo Fock (Göttingen), betonte, dass es in der EKD auch „Täternetzwerke“ gebe. Das Vertrauen der Betroffenen in die Organisation sei gespalten, weil viele sich fragten, wie groß der Wille der EKD sei, Fälle aufzuklären, wenn der Täter noch lebe. Es sei unverständlich, dass das sogenannte „Lotsenprogramm“ der Nordkirche nicht in der gesamten EKD Anwendung finde. Der Vorteil des Programms sei, dass ein Betroffener keinen direkten Kontakt mit der „Täterorganisation“ aufnehmen müsse. Individuelle Hilfen würden mit dem Lotsen geklärt. Es bedürfe nur einer „Plausibilität“. Stattdessen sei nun eine „Musterordnung“ eingeführt worden. Nun müssten Betroffene nachweisen, dass ein institutionelles Versagen vorlag.

Vater eines Betroffenen: Brauchen eine externe Prozesssteuerung

Henning Stein – er ist Vater eine körperbehinderten Sohnes, der sexuellen Missbrauch erlebt hat – kritisierte ferner den Umgang mit den Betroffenen im Vorfeld der EKD-Synode in Bremen. Über Monate habe es keinen Kontakt mit der EKD gegeben, dann seien die Betroffenen gebeten worden, auf der Synode in Bremen ein kurzes Statement von zwei bis drei Minuten abzugeben. Der Text hätte vorher schriftlich eingereicht werden müssen. Er habe deswegen den Eindruck, die Betroffenen sollten wie ein „Feigenblatt“ vorgeführt werden.

Er berichtete ferner, dass die Betroffenen frühzeitig um eine externe Prozesssteuerung gebeten hätten. Diese sei aber abgelehnt worden. Die Kirche glaube, so Stein, sich selbst aufarbeiten zu können. Es widerspreche den Grundregeln des Qualitätsmanagements, dass man sich selbst überwache. Es brauche eine „Wahrheitskommission“ und eine Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs durch den Staat. Auf der digital tagenden EKD-Synode soll am 8. November über das Thema sexueller Missbrauch in der evangelischen Kirche diskutiert werden.

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