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Bericht

Maulkorb für Geistliche

30.11.2024

Die Mexikaner sind ein frommes Volk. Die großen katholischen Prozessionen mit Volksfestcharakter und die weithin sichtbaren Heiligenfiguren zeigen dies deutlich. Trotzdem haben es praktizierende Christen im Land nicht leicht. Neben den berüchtigten Drogenkartellen übt auch die Regierung Druck auf die Kirchen im Land aus. Die Menschenrechtsorganisation ADF International gibt einen Einblick.

Dass in einem christlichen Land wie Mexiko die Rechte von Gläubigen massiv eingeschränkt werden, ist mit Blick auf die Statistik kaum zu verstehen: Nominell ist ein Großteil der Bevölkerung katholisch. Der Wallfahrtsort Guadalupe in Mexiko-Stadt spielt für Katholiken in ganz Amerika eine große Rolle und zieht weltweit eine der größten christlichen Pilgerströme an. Gleichzeitig wächst die Zahl von Protestanten und Evangelikalen: Seit 1990 hat sich ihr Anteil verdoppelt und liegt jetzt bei 11 Prozent.

Hintergrundinformation

Mexiko gilt als der gefährlichste Ort in Südamerika für Pastoren und Priester. Die Geistlichen sind häufig politisch und sozial aktiv. Stören sie dabei die Machenschaften krimineller Banden, reagieren diese gewalttätig.

Großer Druck geht jedoch auch von der sozialistisch geprägten Regierung selbst aus. Laut Verfassung ist das Land säkular. Kirche und Staat sind streng voneinander getrennt. Um dies durchzusetzen, regeln zahlreiche Gesetze das Verhalten von Kirchen und ihren Geistlichen. Bei Verstoß drohen Geld- oder Haftstrafen bis hin zum Verlust des kirchlichen Status im Land.

Tatsächlich bewirken die Verbote unter anderem, dass geistliche Leiter ihre christliche Sichtweise zu wichtigen Themen wie Abtreibung, Ehe, Politik oder Menschenrechten kaum noch äußern dürfen. Damit wird ihre Beteiligung am öffentlichen Leben eingeschränkt.

Indigene Christen erleben zudem Widerstand durch ihre eigenen Familien und Stämme. Ihr Glaube wird in einigen Regionen als Bedrohung des praktizierten Ahnenglaubens angesehen. Dennoch ist der Anteil evangelikaler Christen in den vergangenen Jahrzehnten wie in vielen anderen lateinamerikanischen Ländern deutlich gewachsen.

Redeverbot

Und doch sind der sozialistisch geprägte Staat und sein Rechtssystem sehr christenfeindlich eingestellt. Ein Kirchenleben ist nur in einem engen Korsett erlaubt.

Die Verfassung gewährleistet Religionsfreiheit, aber die Realität sieht anders aus: Zahlreiche Gesetze regeln das öffentliche Auftreten von Geistlichen. So ist es Priestern und Pastoren verboten, ihre Meinung zu öffentlich relevanten Themen wie Ehe, Abtreibung oder Religions- und Meinungsfreiheit frei zu äußern oder die Regierung zu kritisieren. Die möglichen Sanktionen für einen Verstoß dagegen reichen bis hin zu Kirchenschließungen oder die Aufhebung des kirchlichen Rechtsstatus. Die Konsequenzen wären dramatisch.

In Deutschland existieren die Kirchen unabhängig vom Staat und sind anerkannt als öffentlich-rechtliche Religionsgesellschaften. In Mexiko ist die Kirche nur als private Gesellschaft rechtlich anerkannt. Ohne diese Anerkennung würden die Kirchen alles verlieren – auch das Recht, Eigentum zu besitzen.

Kleriker dürfen kein öffentliches Amt bekleiden und sich nicht zu politischen Zwecken zusammenschließen. Für die Beeinflussung von Wählern drohen empfindliche Geldstrafen. Zahlreiche Geistliche äußern sich dennoch zu sozialen Fragen und riskieren damit Verurteilungen.

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Historischer Konflikt

Der Konflikt zwischen der mexikanischen Regierung und vor allem der katholischen Kirche hat eine lange Tradition. In der Mitte des 19. Jahrhunderts versuchten Politiker im Einklang mit den damaligen politischen und kulturellen Trends, die Macht der Kirche zu beschneiden. 1859 verstaatlichten sie in diesem Zuge per Gesetz kirchliches Eigentum. Anfang des 20. Jahrhunderts war es Präsident Plutarco Elías Calles, der Religion und öffentliches Bekenntnis erneut bekämpfte. Durch die anhaltende sozialistische Prägung der politischen Elite blieben die Gesetze von Calles bis in die 1990er Jahre unverändert.

Erst 1992 konnte die Kirche wieder Eigentum erwerben – das davor beschlagnahmte Vermögen blieb allerdings beim Staat. Seitdem dürfen Mönche, Priester sowie Leiter von religiösen Organisationen auch wieder wählen. Öffentliche Ämter bleiben ihnen nach wie vor verwehrt. Das gilt auch für protestantische und evangelikale Amtsträger.

Heiligenstatuen zeugen von der Volksfrömmigkeit in Mexiko. Foto: iStock/Stockcam

Meinung mit Folgen

Im Vorfeld der Präsidentschafts- und Parlamentswahlen im Juni 2024 flammte der Konflikt zwischen Kirche und Staat erneut auf. Kleriker hatten Gläubige dazu aufgerufen, in ihrer Wahlentscheidung auf die Themen Freiheit und Lebensschutz zu achten, und kritisierten die sozialistische Politik. Der spätere sozialistische Wahlsieger, die Partei Morena, legte Beschwerde ein.

Ein Gericht verwarnte daraufhin die beteiligten Priester. Sie mussten ihre Aussagen im Internet, vor allem auf Facebook, löschen. Gegen die Bischöfe der Region Bajío wurde ein Verfahren eröffnet: Sie hatten Workshops organisiert, um die wichtigsten politischen Themen der bevorstehenden Wahlen zu diskutieren. Die Ermittlungen sind inzwischen eingestellt. Das Innenministerium prüfte sogar die Aufhebung der Rechtspersönlichkeit der römisch-katholischen Kirche.

Welche skurrilen Auswüchse der verordnete Maulkorb gegen Pastoren haben kann, zeigt der Fall der Mittelinks orientierten Politikerin Citlalli Amaya. 2023 wurde sie zur Bürgermeisterin der Stadt Tlaquepaque gewählt. Die Behörden annullierten die Wahl mit der Begründung, dass der prominente katholische Kardinal Juan Sandoval Inigue auf Facebook die Bürger zum Wählen aufgerufen hatte. Dieser hatte aber weder Amaya noch ihre Konkurrenten unterstützt. Trotzdem hob das höchste Gericht für Wahlrecht in Mexiko die Wahl auf. In der Wiederholung gewann Amaya wiederum.

Gefährlicher Ausgangspunkt

Experten wie der Leiter der Lateinamerikanischen Rechtsabteilung bei ADF International, Tomás Henríquez, sehen die massiven Einschränkungen der Kirchenleiter in Mexiko als gefährlichen Ausgangspunkt für Freiheitseinschränkungen für ausgewählte Personengruppen. Zudem verstoßen sie gegen internationales Recht, so der Anwalt.

Auch die Amerikanische Menschenrechtskonvention (ACHR) erkennt an, dass alle Menschen das Recht auf Gedankenfreiheit und freie Meinungsäußerung haben. Das Recht schützt die Verbreitung von „Informationen und Ideen aller Art“ – auch zu Religion und Politik – über jedes Medium. Auch wenn Mexiko die ACHR ohne Vorbehalte anerkennt, verstößt sie doch massiv gegen sie.

Tomás Henríquez ist Leiter der Lateinamerikanischen Rechtsabteilung bei ADF International. Foto: privat

Einschränkungen breiten sich aus

Auch Nicaragua hatte in seiner Verfassung ursprünglich fast identische Redeverbote für Geistliche wie Mexiko heute. Aufgrund von internationalem Druck kam es zu einer zeitweisen Verbesserung und Abschaffung der diskriminierenden Gesetze.

Seit einigen Jahren schränkt das herrschende sozialistische Regime unter Präsident José Daniel Ortega die Meinungs- und Religionsfreiheit erneut massiv ein – dieses Mal für alle Bürger. Das Regime kennt die freie Meinungsäußerung und Glaubenspraxis nur noch auf dem Papier.

So verhaftete die Polizei 2022 den katholischen Bischof von Matagalpa, Rolando Álvarez, aufgrund seiner Kritik an der Regierung. Ein Gericht verurteilte ihn am 10. Februar 2023 zu über 26 Jahren Haft. ADF International brachte seinen Fall vor die Interamerikanische Kommission für Menschenrechte. Aufgrund des massiven internationalen Drucks kam der Geistliche am 14. Januar frei und verließ Nicaragua.

Freiheitseinschränkungen bleiben selten nur für eine gesellschaftliche Gruppe bestehen, sondern breiten sich aus.

Könnte Mexiko sich in eine ähnliche Richtung wie Nicaragua entwickeln? Das bleibt abzuwarten. Aber schon jetzt ist es ein klares „Unrecht, dass Mexiko dem Klerus verbietet, frei und gleichberechtigt mit allen anderen Bürgern zu sprechen“, meint Tomás Henríquez. Bei den Fällen, die er für ADF International an die Kommission gebracht hat, ist der Anwalt zuversichtlich, dass sich langfristig etwas ändert. 

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