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Bericht

Lohnt es sich überhaupt, Weihnachten zu feiern?

25.12.2021

Mit der christlichen Bedeutung der Heiligen Nacht tun sich viele schwer. Foto: pixabay.com
Mit der christlichen Bedeutung der Heiligen Nacht tun sich viele schwer. Foto: pixabay.com

Beim zweiten Weihnachtsfest in der Corona-Pandemie ist den Kommentatoren die Feststimmung vergangen. Auch mit der christlichen Bedeutung der Heiligen Nacht tun sich viele schwer. Eine Weihnachtspresseschau von Karsten Huhn.

Stern: Schwer empfänglich für frohe Botschaften

„Was gibt uns jetzt noch Halt?“, fragt der „stern“ in seiner Titelgeschichte. „In der Pandemie googeln die Menschen nach Gebeten, suchen Sinn und Halt in ihrem Glauben – allerdings meist außerhalb der Kirchen...

Es fällt den Menschen offenbar schwer, sich in den Stürmen des Lebens nur an der eigenen Krawatte festzuhalten. Global setzen sich monotheistische Religionen mit jenseitigen Heilsversprechen immer stärker durch, zeigen Studien des amerikanischen Pew Research Center.

Die Zahl der Konfessionslosen, derzeit etwa 14 Prozent, sinkt. Das Christentum schrumpft in Mittel- und Nordeuropa, weltweit aber legt es zu, auch bei den Katholiken. Am stärksten wächst der Islam, um 2070 dürfte es erstmals mehr Muslime als Christen auf Erden geben.

Auch in Deutschland ist der Glaube bei den gut fünf Millionen Muslimen höchst vital. Das Land Luthers fällt vielleicht auch deshalb aus dem Trend, weil hier die Gottesskepsis eine Heimat hat. Friedrich Nietzsche erklärte Gott für tot, Karl Marx nannte Religion ,Opium des Volkes‘.

Bischöfin Fehrs hält die Deutschen mit ihrem perfektionistischen Blick auf den Mangel ohnehin für schwer empfänglich für frohe Botschaften. Auf den Gabentischen landen seltener Bibeln als Werke rationaler Welterklärer wie des Physikers Stephen Hawking, der einen Schöpfergott für unnötig hält, oder des Zoologen Richard Dawkins, der seit Jahren predigt, Gott sei ein Produkt menschlichen Wahns.“

Neue Zürcher Zeitung: Mehr als achtzigmal Weihnachten feiern

Der Feuilletonchef der „Neuen Zürcher Zeitung“ (NZZ), Benedict Neff, schreibt die Titelseite seiner Zeitung voll. Seine Gedanken sind seltsam depressiv: „Schon wieder Weihnachten. Das Erschreckende an Feiertagen ist die Vergegenwärtigung der Zeit und damit der eigenen Vergänglichkeit.

Schweizerinnen und Schweizer dürfen erwarten, ein bisschen mehr als achtzigmal Weihnachten zu feiern. Besonders viel ist das nicht. Lohnt es sich überhaupt, ,Stille Nacht, heilige Nacht‘ auswendig zu lernen? … Die Vorstellung, wir würden nun die kommenden Tage intensiv über die Zeit nachdenken, uns über unser Christentum Rechenschaft ablegen und die Familiengeschichte rekapitulieren, ist unwahrscheinlich. Zu viel Betrieb.

Das Schöne an Weihnachten ist, dass man die Erinnerungen nicht erarbeiten muss. Sie fliegen uns einfach zu. Beim Essen, im Gespräch, in der Kirche. In Form von Bildern, Geschmäcken und Gerüchen. Sie sind mehr Ahnung als Gedanke. Im nächsten Moment haben wir sie schon vergessen.“

Die Welt: Nimm dich an, denn du bist angenommen

In der Tageszeitung „Die Welt“ schreibt der Vorsitzende der (katholischen) Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Georg Bätzing (Limburg), in seinem Gastkommentar: „‚Wer fähig ist, sich selbst zu lieben, ist auch fähig, den anderen zu lieben. Wer gelernt hat, die Selbstverachtung zu überwinden, hat damit auch seine Menschenverachtung überwunden‘, davon ist [der evangelische Theologe] Paul Tillich überzeugt... Für ihn lautet die entscheidende Botschaft des christlichen Glaubens: Nimm dich an, denn du bist angenommen (,Accept that you are accepted‘).

Diese Einsicht atmet Zuversicht und eine positive Lebenseinstellung. Sie vertreibt negative Gefühle, Zynismus und radikale Selbstzweifel. Sie stellt uns fest und sicher ins Abenteuer des Lebens mit all seiner Schönheit und seinen Zumutungen. ‚Ich bin, weil du bist.‘ Das ist für mich Weihnachten. ‚Euch ist ein Retter geboren‘, heißt es in der Heiligen Nacht.

Und am Tag selbst: ‚Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt‘. Gott hat unser Menschsein angenommen. Angenommen! Uns angenommen, mich angenommen! Ich lebe, denn ich bin geliebt. Ich bin, weil er ist, weil Jesus unter uns ist, weil er für mich ist. Mit ihm ist die Liebe zur Welt gekommen. Und mit ihr ein gutes Wort für alle; Licht, das uns die Spur ausleuchtet; Leben, wunderbar aufgegeben.

Die Schlüsselworte des großartigen Prologs im Johannesevangelium weisen uns einen guten Ort im Dasein zu, an dem wir uns einfinden können: ‚in der Welt – Fleisch, also ganz erdverbunden – und: aus Gott‘. So ist Jesus, Gott unter uns. Und so werden wir ganz und heil.“

Frankfurter Allgemeine Zeitung: Die Krippe als Sehnsuchtsort

Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (FAZ) sucht angesichts der Corona-Pandemie nach Trost in der Weihnachtsgeschichte: „Der Prophet Jesaja kleidete einst seine Sehnsucht nach Erlösung in die Erwartung des Aufscheinens Gottes in einem Menschensohn: ,Das Rohr zerbricht er nicht, und den glimmenden Docht löscht er nicht aus; ja, er bringt wirklich das Recht‘ – bildmächtige Worte, die an jedem Weihnachtsfest erklingen.

Doch können sie Trost spenden angesichts von 100.000 Corona-Toten allein in Deutschland und der Not vieler Mitbürger, die noch lange von der Infektion mit dem Virus gezeichnet sein werden? Können sie die Furcht nehmen vor der Ansteckung mit einer neuen Variante, gar Frieden bringen in einer Welt, in der die Waffen nicht schweigen wollen?

Die Gegenfrage sei erlaubt: Was wäre, wenn wir an der Krippe, dem Sehnsuchtsort eines neuen Anfangs Gottes mit den Menschen, einander nicht mehr gesegnete Weihnacht wünschen dürften?“

Spiegel: Josef, der Bonuspapa

Das Magazin „Der Spiegel“ vergleicht die Familienverhältnisse zu Zeiten Christi mit denen von heute: „Vor mehr als 2000 Jahren kam laut Lukasevangelium im Stall zu Bethlehem ein Junge zur Welt. Seine Mutter lebte ohne Trauschein mit einem Mann zusammen, der nach traditioneller Auslegung nicht der wahre Vater des Kindes sein konnte. Heute würden manche ihn Bonuspapa nennen, weil Stiefvater so negativ klingt.

Betrachtet man die Weihnachtsgeschichte mit leicht blasphemischem Blick, kommt sie einem erstaunlich aktuell vor. Die Familienverhältnisse im Hause Jesu Christi unterscheiden sich jedenfalls wenig von denen vieler Menschen des 21. Jahrhunderts. Jedes dritte Neugeborene in Deutschland hat Eltern, die nicht verheiratet sind. Die Scheidungsquote liegt bei 38,5 Prozent. Patchworkfamilien sind nichts Außergewöhnliches.

Neu aus Sicht der Evangelisten zu der Zeit, als Quirinius Statthalter in Syrien war, dürfte allenfalls die ,Ehe für alle‘ sein. Seit 2017 können gleichgeschlechtliche Paare heiraten oder Kinder adoptieren. Auch Schwangerschaften ohne Sex sind jetzt möglich, ohne dass man dazu einen Heiligen Geist brauchte.

Ein Prozent der jährlich rund 700.000 Neugeborenen hierzulande ist mithilfe künstlicher Befruchtung entstanden. Manche von ihnen wachsen mit zwei Müttern auf oder haben einen Vater, der biologisch nicht mit ihnen verwandt ist.“

Süddeutsche Zeitung: Trost vom Anfang bis zum Ende

Die ganze Weihnachtsgeschichte ist eine Geschichte der „wundersamen, ja provokativen Verdrehungen“, schreibt die „Süddeutsche Zeitung“: „Maria ist Jungfrau und bekommt ein Kind. Dieses Kind, nicht der Kaiser Augustus, wird als Herrscher verehrt. Später reitet er, vom Volk bejubelt, als König in Jerusalem ein – auf einem Esel, um sich so lustig zu machen über den einschüchternden Prunk der weltlichen Herrscher...

Selbst wenn man das Ganze nur für ein aberwitzig schönes Märchen hält – diese Geschichte widersteht der Verzweiflung an der Welt, weil sie zu schön ist, um nicht wahr zu sein. Sie hat eine klare Botschaft: Höchstes Wesen ist nicht ein Kaiser, sondern ein kleiner Mensch.

So beginnt eine Gegengeschichte zur Machtgeschichte, eine Geschichte von der großen Umkehrung, die das Unterste zuoberst kehrt; in der sich einer, der Wunder wirken kann, ans Kreuz schlagen lässt. Es ist dies eine verdrehte, abgedrehte Geschichte. Deswegen hat sie solche Kraft, dass sie nun schon seit zweitausend Jahren erzählt wird. Es steckt Trost darin – vom Anfang bis zum Ende.“

Zeit: Die Wunder der Bibel

Im „Zeit“-Magazin wagen die evangelische Theologin Johanna Haberer und ihre Schwester, die stellvertretende „Zeit“-Chefredakteurin Sabine Rückert, eine Neudeutung der biblischen Wundergeschichten. Diese seien „Legenden, die den Aufbruch in eine ganz neue Zeit signalisieren sollten.

So steht etwa die Heilung der Kranken allein durch Handauflegung – insbesondere jener Kranken mit ansteckenden Seuchen wie dem Aussatz – im Mittelpunkt einer revolutionären Idee, die bis heute die karitativen Aufgaben der Kirchen diktiert. Diese versuchten, gerade die schrecklich Heimgesuchten, die zu antiken Zeiten in Ghettos am Rand der Gesellschaft verbannt waren, wieder in die Gemeinschaft zurückzuholen. Dieser Inklusionsgedanke steckt hinter all jenen Heilungsgeschichten, die es in die Bibel geschafft haben.

Auch hinter den vielfältigen Dämonenaustreibungen wie der von einem Besessenen im Lukasevangelium steckt eine größere Botschaft. Dort wird ein Mann geschildert, der Kleider am Leibe nicht mehr ertragen kann, den seine Familie nur noch gefesselt aushält und der sich schließlich losreißt und in Grabhöhlen Zuflucht sucht – sozusagen als lebende Leiche.

Von Jesus gefragt, wie er heiße, antwortet ihm nicht er, sondern der Dämon aus dem geschüttelten Mann heraus, sein Name sei ,Legion‘. Der Dämon steht also nicht nur für die Qual der psychischen Krankheiten, sondern auch für die ungezählten Ungeister, die Menschen voneinander trennen, sie ängstigen und ihr Zusammenleben vergiften.

Als der vielgesichtige Dämon von Jesus ausgetrieben wird, stürzt er sich in eine ganze Herde Schweine, die sich daraufhin selbst im See Genezareth ersäuft. Zurück bleibt ein befreiter Mensch, der wieder klar denken und sehen kann und der wieder zuwendungsfähig ist…

Auch die angebliche Erweckung von Toten durch Jesus birgt eine philosophische Absicht: In diesen Geschichten werden scheinbar unüberwindbare Grenzen plötzlich durchlässig, es vollzieht sich für alle sichtbar die Verweigerung der Norm.

Ja, sämtliche biblischen Wunder stellen einen Riss dar in der hermetischen und berechenbaren Vorstellung von der Welt. Und alle kündigen etwas Neues an: eine Welt, die voller Überraschungen steckt und die eine Strategie hat, sich der Normativität des Faktischen zu entziehen.“

Rheinische Post: Was uns noch heilig ist

In der Tageszeitung „Rheinische Post“ schreibt der stellvertretende Chefredakteur, Horst Thoren, auf Seite 1: „Seit Christi Geburt hatte die Kirche das Monopol auf das Heilige. Davon ist ihr viel abhandengekommen. Am Heiligen Abend, dessen Bezeichnung geblieben ist, wenn auch seine Bedeutung abgenommen hat, wird deutlich, wonach sich viele Menschen sehnen: nach Sinnhaftigkeit des Lebens, Halt und Orientierung in unsteter Zeit.

Das Bedürfnis nach Ritualen trägt dazu bei, dass die Gotteshäuser sich füllen. Einmal im Jahr hat das Christentum noch die prägende Kraft vergangener Zeiten, überstrahlt der Lichterglanz den Schrumpfungsprozess…

Bei der Frage, was uns überhaupt noch heilig ist, geht es weniger um Religion. Es werden vielmehr Werte bemüht, die Selbstverständnis und Verhalten bestimmen. Das Heilige aber harrt nicht der Verwirklichung. Es ist da.

Wenn junge Menschen hingegen gefragt werden, woran sie glauben, ist häufig von Tugenden wie Treue und Ehrlichkeit die Rede. Das Streben nach einer gerechten sozialen Welt wird genannt, die Vielfalt zum Lebensprinzip erhoben. Der Glaube an ein höheres (göttliches) Wesen scheint bestenfalls als Sekundärtugend gefragt.“

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