Frei-/Kirchen
In der unerlösten Welt braucht man Gewaltmittel gegen das Böse
30.10.2022
Bad Herrenalb (IDEA) – Das Böse in der Welt lässt sich nicht „durch gutes Zureden und mit noch so viel gutem Willen und Anstrengung überwinden. Wir brauchen in der unerlösten Welt Gewaltmittel gegen die Macht des Bösen.“ Diese Ansicht vertrat der Heidelberger Theologieprofessor Christoph Strohm auf der Tagung der badischen Landessynode in Bad Herrenalb.
Wenn ein Aggressor wisse, dass ihm nicht mit Gewaltmitteln Einhalt geboten wird, bestehe die Gefahr, ihn geradezu zu ermutigen, seine Aggression in die Tat umzusetzen, so Strohm mit Blick auf den Krieg in der Ukraine. „Hätte man den Sieg des russischen Aggressors mit militärischen Mitteln nicht zumindest teilweise gestoppt, wäre das ein elementarer Zusammenbruch der internationalen Rechts- und Friedensordnung gewesen“.
Der Theologe würdigte zugleich den Wert der Lehre vom gerechten Krieg: „Es ist eine große geistes-, theologie- und rechtsgeschichtliche Leistung, dass man intensiv diskutiert hat, unter welchen sehr eng begrenzten Kriterien Krieg geführt werden darf und welche Schranken im Krieg eingehalten werden müssen.“
Jetzt bereits an die Nachkriegszeit denken
Oberkirchenrat i. R. Christoph Schneider-Harpprecht (Karlsruhe) erklärte, dass die Kirche vorrangig Not leidenden Menschen helfen und weder Waffenlieferungen noch den Verteidigungskrieg gutheißen müsse. Sie solle „vor allen Menschen Zeugnis ablegen für das Ende der militärischen Gewalt und für Gewaltfreiheit als Ziel des menschlichen Zusammenlebens und des politischen Handelns“.
Schneider-Harpprecht rief dazu auf, jetzt bereits die Nachkriegszeit einzuplanen und dabei zu bedenken, dass nachhaltige Entwicklung vom Frieden abhänge. Dazu gehöre unter anderem, sich um eine Versöhnung mit Russland zu bemühen, gewaltfreie, nicht militärische Konfliktlösungen anzustreben sowie in Präventionsmaßnahmen zu investieren statt in den militärischen Sektor.
Mit gewaltfreien Mitteln einen Waffenstillstand herbeiführen
Eine ähnliche Sichtweise formulierte der mennonitische Theologe Prof. Fernando Enns von der Arbeitsstelle „Theologie der Friedenskirchen“ an der Universität Hamburg in einem Videobeitrag. Er ermutigte die Kirchen dazu, auf die Stimmen der Friedensbewegungen in Russland und in der Ukraine zu hören und die „sehr differenzierten innerorthodoxen Debatten“ wahrzunehmen.
Auch er forderte, mit allen möglichen gewaltfreien Mitteln einen Waffenstillstand herbeizuführen. Er könne sich dabei gut Vermittler aus China, Indien, Indonesien oder der Afrikanischen Union vorstellen. Enns kritisierte den Begriff der Zeitenwende, der aktuell die Friedensdiskussion bestimmt. Er würde dafür verwendet, die massive Schuldenaufnahme in Rüstung und Militär zu legitimieren. Die Zeitenwende sei jedoch bereits mit dem Kommen Christi erfolgt, „der offenbarten Feindesliebe Gottes gegenüber allen Menschen wie der gesamten Schöpfung“.
Springhart: Politische Entscheidungen sind nicht frei von Schuld
Laut der badischen Landesbischöfin Heike Springhart (Karlsruhe) stehe die Kirche vor der Herausforderung, „selbstbewusst und klar Stellung zu beziehen – dies aber im Bewusstsein, damit eben nicht alle Dilemmata aufzulösen und nicht das letzte politische Wort zu sprechen“. Die Forderung nach Gewaltlosigkeit sei dabei ein starkes Signal, „wenn sie von denen kommt, die von der Gewalt unmittelbar betroffen sind“.
Damit meine sie jedoch nicht, „dass wir schulterzuckend schweigen. Aber ich meine, dass eine theologisch begründete Kultur der Ratlosigkeit den Raum und Realismus dafür schaffen würde, dass politische Entscheidungen unter dem konkreten Handlungsdruck immer auch Entscheidungen bleiben, die nicht frei von Schuld sind.“
Springhart bekräftigte zugleich, dass die Kirche an der Seite der Opfer von Gewalt stehe. „Sofern wir nicht unmittelbar betroffen sind, kann die Aufgabe der Kirche und der Friedensethik nicht darin bestehen, den Bedrohten Gewaltlosigkeit nahezulegen und ihnen das Recht auf Selbstverteidigung abzusprechen“ erklärte die Landesbischöfin. „Aber der Fokus muss darauf liegen, die Kräfte zu stärken, die dem Frieden dienen, die Gewaltlosigkeit wagen und die sich auf Schritte der Versöhnung machen.“
Die Kirche muss Gesprächskanäle offenhalten
Die 72 Mitglieder der Landessynode verabschiedeten während der Tagung eine entsprechende Erklärung zum Thema: „Als Evangelische Landeskirche in Baden bleiben wir auf dem Weg hin zum gerechten Frieden. Zugleich sehen wir die moralischen Dilemmata. Auch in unserer Kirche gibt es unterschiedliche friedensethische Antworten auf die Herausforderungen unserer Zeit“, heißt es in der Erklärung.
„Unsere Aufgabe als Kirche ist es, alles in unserer Macht Stehende zu tun, um Gesprächskanäle in Krisenzeiten offenzuhalten, denen, die um friedliche Lösungen ringen, den Rücken zu stärken, konkrete humanitäre Hilfe zu leisten, Traumatisierten und Geflüchteten sichere Räume und Zuflucht zu gewähren und so den Boden dafür zu bereiten, dass Wege der Versöhnung gesucht und gefunden werden.“
Die Evangelische Landeskirche in Baden hat rund 1,1 Millionen Mitglieder in 480 Kirchengemeinden.
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