Frei-/Kirchen
Gnadauer Präses: Ein „Wut-Christentum“ hat keine Verheißung
11.03.2022
Bad Liebenzell (IDEA) – Christen sollten sich für „einen kommunikativen Klimawandel“ einsetzen. Dafür plädiert der Präses des Evangelischen Gnadauer Gemeinschaftsverbandes (Vereinigung Landeskirchlicher Gemeinschaften), Pfarrer Steffen Kern (Walddorfhäslach bei Reutlingen), im Magazin der Liebenzeller Mission „MISSION weltweit“ (Ausgabe Nr. 3/4).
Wie er schreibt, genügen bestimmte Stichworte wie Corona, Klimawandel, Flüchtlinge oder Gender, um die Wogen hochgehen zu lassen. „Mehr Empörung war selten.“ Es scheine, als gäbe es nur noch Schwarz und Weiß. „Wer anders denkt, wird diffamiert oder lächerlich gemacht. Häme und Hetze bestimmen viele Diskurse in den Medien.“ Leider sei es unter Christen „kein Haar anders“. Nur kämen dabei zu den bekannten Stichworten noch ein paar weitere dazu: die Ehe für alle, Abtreibung, Islam, Bibelkritik oder Fundamentalismus. „All das sind wichtige Themen, keineswegs beliebig, aber die Art und Weise, wie viele Debatten geführt werden, ist beschämend.“
Es werde kommentiert und karikiert, verzeichnet und verleumdet, gelästert und gelogen. „Oft werden nur Schlagzeilen gelesen, und dann wird auf Facebook und Co. hemmungslos zugeschlagen. Wir Christen sind, mehr als uns lieb sein kann, vom Zeitgeist der kollektiven Erregung bestimmt. Neben das Wut-Bürgertum tritt ein Wut-Christentum.“ Das habe aber keine Verheißung.
Was verstörend und verantwortungslos ist
Es sei „geradezu verstörend, wie zum Teil vertraute Persönlichkeiten auf Abwege geraten und zu Politakteuren werden, unseriösen Stimmen eine Bühne geben, populistische bis extremistische Quellen zitieren und damit viele verunsichern, ja sogar verführen“. Es sei verantwortungslos, „wie zum Teil im Namen von Bibel und Bekenntnis oder im Namen der Wissenschaft gegen Schwestern und Brüder Stimmung gemacht und Misstrauen gesät wird“.
Kern nennt es verheerend, „wie alles schnell getippt, auf Video aufgenommen und in die mediale Welt geschickt wird“. Dieses Gebaren sei eine unselige Mischung aus einem meist hohen Geltungsbedürfnis, manchmal begrenzter Sachkenntnis und zugleich sehr ausgeprägtem Sendungsbewusstsein der jeweiligen Akteure. „Das sind genau die Eigenschaften, die die Sozialen Medien befördern und die so unsozial wirken.“ Konkrete Namen nennt Kern in dem Beitrag nicht.
Für Differenzierung – Nicht nur Parolen verbreiten
Er betont, dass um die Wahrheit durchaus gerungen werden müsse. „Klarheit in der Sache hilft und gibt Orientierung. Eine falsche Harmonie will niemand.“ Es gehe auch nicht darum, einzelne Worte auf die Goldwaage zu legen, da sich jeder einmal im Ton oder in der Wortwahl vergreife. Man werde jedoch der Sache und den Menschen nicht gerecht, wenn man nur Parolen verbreite. Kern: „Was uns abhandenkommt, ist die Fähigkeit zu differenzieren. Wo aber die Differenzierung schwindet, hat es die Wahrheit schwer. Wir versäumen es, auf andere zu hören, besonnen und nüchtern abzuwägen und gelassen zu bleiben. Bevor wir ein Gespräch beginnen, sind wir oft schon fertig.“
Gerade Christen hätten jedoch die Chance, anders zu sein und anders zu reden. Kern empfiehlt deshalb, vor einem Kommentar im Internet vier selbstkritische Fragen zu stellen: „1. Würde ich das, was ich schreibe, dem andern auch ins Gesicht sagen? 2. Was motiviert mich zu meiner Äußerung? 3. Kann ich wirklich verantworten, was ich veröffentliche und damit bewirke? 4. Worin könnte mein Gegenüber recht haben?“
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