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Interview

Gauweiler: Kirchenleiter sollten mit Kyrill sprechen

30.04.2022

Der Rechtsanwalt und Politiker Peter Gauweiler. Foto: Jürgen M. Pietsch
Der Rechtsanwalt und Politiker Peter Gauweiler. Foto: Jürgen M. Pietsch

Die Christenheit ist in der Beurteilung des Krieges in der Ukraine gespalten. Während die katholische und anglikanische Kirche sowie die evangelischen Kirchen den russischen Überfall auf das Nachbarland verurteilen, relativiert ihn das Oberhaupt der größten orthodoxen Kirche, der russische Patriarch Kyrill (Moskau). Damit werde das Nachbarland auch bewahrt vor liberalen, westlichen Werten, äußerte der Repräsentant von rund 100 Millionen der schätzungsweise weltweit knapp 300 Millionen orthodoxen Christen. Wie man wieder zu mehr kirchlicher Einheit bei diesem Thema kommen könnte, dazu hat einer der bekanntesten bayerischen Protestanten, der Rechtsanwalt und Politiker Peter Gauweiler (München), ungewöhnliche Vorschläge. Gauweiler ist u. a. Staatsminister im Freistaat und stellvertretender CSU-Vorsitzender gewesen. Mit ihm sprach Helmut Matthies.

IDEA: Der Papst, die EKD und der Weltkirchenrat haben Patriarch Kyrill scharf kritisiert, weil er Putins Krieg gegen die Ukraine unterstützt, statt ihn zu verurteilen.

Gauweiler: Wir haben doch im Konfirmandenunterricht gelernt, dass Jesus selbst fordert, dass man mit einem zum Feind gewordenen „Bruder“ reden muss, erst allein und dann in der Gemeinschaft. „Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet.“ Vor aller Welt anzuprangern, ist keine christliche Lösung. Papst Franziskus hat das übrigens nicht getan.

IDEA: Aber alle Reaktionen des Patriarchen zeigen doch, dass er zu keinem Einlenken bereit zu sein scheint.

Gauweiler: Ist das so? Nochmal: Wo ist die christliche Initiative, ein Gespräch mit der russisch-orthodoxen Kirche zu beginnen, das über Anklagen und Verurteilen hinausgeht? Nicht nur weil angesichts der letzten Kriege im Irak und in Libyen so viel von den „Kreuzzügen“ die Rede ist, ein historisches Beispiel: 1219 reiste der Heilige Franz von Assisi aus Italien nach Ägypten mitten in die blutigen Schlachten am Nil zwischen den christlichen Kreuzfahrern und Muslimen. Sein Ziel: Mit dem islamischen Führer Sultan Malik Al Kamil zu reden. Es wird berichtet, dass der Sultan von den Worten und dem Mut des Christen im Innersten berührt war. Wieso sollten christliche Leute im 21. Jahrhundert nicht auf Überzeugungsstärke und Glaubenskraft vertrauen? Jedenfalls mehr als auf Verwünschungen.

IDEA: Im Blick auf die EKD dürfte der orthodoxe Patriarch die Ratsvorsitzende und die Auslandsbischöfin nicht mal als Gesprächspartner anerkennen, weil seine Kirche die Frauenordination nicht anerkennt.

Gauweiler: Der orthodoxe Patriarch denkt über dieses Thema vermutlich wie der EKD-Vorsitzende meiner Jugend, Bayerns Landesbischof Hermann Dietzfelbinger. Auf der anderen Seite dominiert gerade die Moskauer Orthodoxie das Bild einer Frau, der Gottesmutter von Kasan, die Russland nach den Überzeugungen der Kirche mehrfach gerettet hat. Mit Kyrill sprechen wäre ja nur das eine – stellen Sie sich einmal vor, dass die deutsche Ratsvorsitzende zur Kasanskaja an die Wolga pilgerte und dabei – wovon ich überzeugt bin – die richtigen Worte fände: das könnte die Steine in Moskau und Kiew erweichen.

Unabhängig davon könnte der Friedensbeauftragte der EKD, der mitteldeutsche Landesbischof Friedrich Kramer aus Magdeburg, die Kirchen im Osten besuchen. Im Übrigen: Patriarch Kyrill ist kein feiger Kirchenmann. Sein Vater war jahrelang Gefangener des Gulag. Er selbst protestierte als junger Geistlicher gegen die Invasion der Sowjetunion in Afghanistan.

Später, schon als Metropolit, reiste er nach Rom und bekundete dem deutschen Papst seinen Respekt. Dafür musste er sich in der Heimat beschimpfen lassen. Über die Heiligen Drei Könige predigte er als Vorbild für die Multikulturalität der Kirche.

Für mich steht fest: Mehr als alle anderen haben die Kirchen – trotz ihrer Schwäche – Möglichkeit, Einfluss zu nehmen. Der russische wie der amerikanische Präsident, die beide jedenfalls vor den Fernsehkameras das Kreuz vor die Brust schlagen, werden sich am Ende der Thomas-Becket-Frage nicht entziehen können: wo bleibt die Ehre Gottes?

IDEA: Haben Sie denn selbst schon mal versucht, auf ungewöhnliche Weise einen religiösen Dialog zu führen?

Gauweiler: Wenige Tage vor dem militärischen Angriff der USA auf den Irak hatte ich 2003 als Vorsitzender des Bundestagsausschusses für Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik zusammen mit meinem Kollegen Willy Wimmer (CDU) Gelegenheit, die Flugverbotszone um den Irak zu überwinden und die christlichen Gemeinden in Bagdad zu besuchen. Auf Einladung des chaldäischen Patriarchen. Wir hatten schriftliche Grüße des bayerischen evangelischen Landesbischofs Johannes Friedrich, des damaligen Kurienkardinals Joseph Ratzinger und des obersten Bischofs des amerikanischen Methodisten überbracht und unterstützten damit auch die Initiative von Johannes Paul II., der eine christliche Alternative zu diesem verrückten Krieg anbot. Ein Krieg, der – wie später erwiesen – auf einer Lüge im Weltsicherheitsrat basierte, furchtbares Leid verursachte und eine Flüchtlingsbewegung ohne Beispiel in Gang setzte.

IDEA: Würden Sie auch zu Patriarch Kyrill reisen?

Gauweiler (lacht): Mit Ihnen, lieber Herr Matthies, immer.

IDEA: Herzlichen Dank für das Gespräch.

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