Film-Kritik
Frühstück mit dem Klassenfeind
21.03.2022
Der Film „Honecker und der Pastor“ (18. März, 20.15 Uhr, ARTE sowie 21. März, 20.15 Uhr, ZDF) erzählt die ungewöhnliche Geschichte des gestürzten Staatsratsvorsitzenden, der in einem Pfarrhaus Kirchenasyl fand. Karsten Huhn berichtet.
Klopfet an, so wird euch aufgetan. Im Januar 1990, die DDR geht ihrem Ende zu, ereignet sich in Lobetal, einem Dorf 20 Kilometer nördlich von Berlin, Ungeheuerliches. Hausherr ist der preußisch-korrekte Pastor Uwe Holmer, der nur seine Christenpflicht tut; als Gast steht Genosse Erich Honecker vor der Tür, eben noch Generalsekretär des Zentralkomitees der SED und Vorsitzender des Staatsrats der Deutschen Demokratischen Republik, nun entmachtet und im eigenen Land auf der Suche nach Kirchenasyl.
Der Christ und der Kommunist – es ist ein Zusammenprall der Kulturen. „Wir pflegen vor dem Essen zu beten“, sagt Holmer. „Das stört uns nicht“, antwortet Honecker. Gespielt wird er täuschend echt von Edgar Selge. Nicht nur äußerlich ist die Verwandlung gelungen. Wenn er mit den Holmers spricht, hört es sich an, als säße er noch im Politbüro. Technokratisch-hölzern nuschelt er die Worte weg, so dass man genau hinhören muss.
Erzählt wird der Film aus der Perspektive von Cornelius, dem jüngsten der zehn Kinder der Holmers. Er sowie sein älterer Bruder Traugott wohnen noch bei den Eltern. Die acht anderen Geschwister sind bereits ausgezogen. Die Kinder kannten den unerwarteten Gast und seine Frau, die DDR-Bildungsministerin Margot Honecker (Barbara Schnitzler), aus dem Fernsehen. Nun sitzt das Paar täglich am Frühstückstisch mit Menschen, denen nach sozialistischer Lehre die Rolle des Klassenfeindes zugedacht war.
„Hat er schon zu Gott gefunden?“
Für Holmer und seine Frau Sigrid (Steffi Kühnert) wird die Aufnahme der tief gefallenen Gäste zur Anfechtung. Vor der Haustür lauert die Medienmeute. „Hat er schon zu Gott gefunden?“, fragt ein Boulevard-Reporter. „Ich kontrolliere meine Gäste doch nicht, ob sie beten“, sagt Holmer.
Unzufriedene Gemeindeglieder meutern oder erklären gleich schriftlich ihren Austritt aus der Kirche. Hans-Uwe Bauer spielt einen Holmer, der – meist bekleidet mit Weste und Krawatte – sich mit nüchternem Glaubensernst allen Herausforderungen stellt. „Wenn wir Barmherzigkeit predigen, dann müssen wir sie auch leben“, sagt Holmer. „Selbst wenn es schwerfällt.“
Film vermittelt Glaubensüberzeugungen
Auffallend viel vermittelt der Film von den Glaubensüberzeugungen der Holmers. Das Ehepaar lädt die Honeckers zum Gottesdienst ein („Wollen Sie mich missionieren?“, fragt Erich Honecker), es empfiehlt mit freundlicher Hartnäckigkeit die Bibellektüre, verkündigt Hoffnung auf ewiges Leben und ermuntert, das Herz für Gott zu öffnen. Ob das auf Gegenliebe stieß? „Meine Weltanschauung ist der wissenschaftliche Kommunismus“, sagt Margot Honecker im Film. „Wenn jemand stirbt, ist alles vorbei.“
Erich Honecker ist zu diesem Zeitpunkt schon ein kranker, abgemagerter Mann, wenig später wurde ein bösartiger Lebertumor bei ihm diagnostiziert. Wegen der angeschlagenen Gesundheit wurde ein Gerichtsverfahren wegen Menschenrechtsverletzungen in der DDR gegen Honecker ausgesetzt; 1994 starb er.
Vergeben lernen
Vor Holmers Pfarrhaus marschieren zornige Demonstranten auf. Honecker beobachtet den Aufmarsch hinter der Gardine und muss erkennen, dass das Volk, das ihm einst zujubelte, ihn am liebsten aufhängen würde. Holmer versteht die Wut der Honecker-Gegner und empfiehlt dennoch, vergeben zu lernen: „Denn sonst frisst die Bitterkeit in ihrem Herzen sie auf.“
Ausflüge ins Komödiantische
Neben den ernsten Momenten gönnt sich Regisseur Jan Josef Liefers aber auch die Freiheit für Ausflüge ins Komödiantische: So teilen sich die Honeckers das Bad mit den Holmer-Kindern. An der Tür zum Badezimmer warnt ein Schild: „Achtung. Sie betreten den französischen Sektor!“
Der Schauspieler Axel Prahl schlurft als kettenrauchender geistig Behinderter durchs Dorf. Der als Berliner Kodderschnauze bekannte Schauspieler Kurt Krömer hat einen Auftritt als kurioser Konsum-Verkäufer. Und als Holmer Honecker zum Abschied segnet, bekommt er einen innigen sozialistischen Bruderkuss auf die Wange gedrückt. Allerdings verzichtet Holmer darauf, ihm auch noch die andere Backe hinzuhalten.
Lesen Sie auch die Film-Kritik von Karsten Huhn zur ZDF-Dokumentation, die die Hintergründe zum Film beleuchtet.
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