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Glaube

DIJG: „Enttheologisierung der Sexualethik“ schreitet voran

06.08.2021

Der Ärztliche Direktor der christlichen Klinik Hohe Mark, Martin Grabe. Foto: kairospress
Der Ärztliche Direktor der christlichen Klinik Hohe Mark, Martin Grabe. Foto: kairospress

Reichelsheim (IDEA) – Die Debatte um das Buch des Ärztlichen Direktors der christlichen Klinik Hohe Mark, Martin Grabe, hält an. Unlängst hat sich auch die Pressereferentin im Deutschen Institut für Jugend und Gesellschaft (DIJG/Reichelsheim im Odenwald), Írisz Sipos, geäußert.

Grabe hatte in seinem Buch „Homosexualität und christlicher Glaube: ein Beziehungsdrama“ (Francke-Verlag) folgenden Einigungsvorschlag gemacht: „Homosexuelle Christen dürfen ebenso wie heterosexuelle Christen eine verbindliche, treue Ehe unter dem Segen Gottes und der Gemeinde eingehen und sind in der Gemeinde in jeder Hinsicht willkommen.“ Wie Sipos im Bulletin des Instituts (Ausgabe Nr. 26) mit dem Titel „Sexualethik(en) im Umbruch: ,Ehe für alle‘ als apologetischer Stresstest“ schreibt, hat Grabe für einen Paradigmenwechsel in der evangelikalen Debatte gesorgt. Die Signalwirkung seines Buches gehe über das Anliegen hinaus, „fromme Vorbehalte gegen gelebte Homosexualität in den Gemeinden aus dem Weg zu räumen“.

Sie kritisiert, dass Grabes Vorstoß der Komplexität des Themas nicht gerecht werde. Er komme, so Sipos, nahezu komplett ohne eine breite Einordnung und die interdisziplinäre Einbindung von ethischen, psychologischen, pädagogischen oder soziologischen Ansätzen auf der Grundlage einer biblisch zu begründenden Anthropologie aus.

Was das größte Verdienst des Buches ist

Größtes Verdienst des Buches ist ihr zufolge die eingeforderte Empathie und Solidarität mit dem Betroffenen. Sie pflichtet Grabe zudem darin bei, dass die konkreten Bibelverse, in denen es um gleichgeschlechtliche Handlungen geht, stets neu in Augenschein genommen werden müssten. Aber keine „noch so detaillierte kulturhistorische Kontextualisierung der einschlägigen biblischen Passagen kann die darin formulierten Vorbehalte gegen homosexuelle Praxis entkräften“. Die biblischen Autoren würden eine sexuelle Partnerschaft von Menschen gleichen Geschlechts „noch nicht einmal als randständige Option aufwerfen“.

Moralische Appelle im anthropologischen Niemandsland

Laut Sipos braucht es im Ringen um ethisch und biblisch relevante Antworten eine Perspektive auf menschliche Geschlechtlichkeit, die über eine „individuelle Alltagsmoral“ hinausreiche. Sie müsse stets im gesamten Zeugnis der Schrift vom Menschen als Geschöpf reflektiert werden. Weiter schreibt sie: „Doch eben diese größere Perspektive bleibt Martin Grabe seinen Lesern schuldig, und folglich verharren seine moralischen Appelle in einem anthropologischen Niemandsland.“ Ohne eine entsprechende Fundierung bleibe sein „Kompromissvorschlag“ theologisch unverbunden und ethisch vage.

Was nicht mehr in Betracht gezogen wird

Grabe wolle die konservative Haltung „nicht im Sinne der Toleranz relativieren, sondern nachweisen, dass sie geradewegs unbiblisch und unethisch ist“. Er ziehe einen kritischen Umgang mit praktizierter Homosexualität auf der Grundlage einer christlichen Anthropologie und Sexualethik sowie im Bereich der Seelsorge gar nicht mehr in Betracht. Die Bereitschaft von Christen, die gleichgeschlechtliche Ehe als segensreich und segenswürdig ins Gemeindeleben zu integrieren, „wird ihm zum Gradmesser des redlichen (evangelikalen) Umgangs mit der Schrift und der spirituellen Verwurzelung im Evangelium“. Das Buch offenbare „jenen Mangel an Ambiguitätstoleranz, der üblicherweise konservativen Evangelikalen zum Vorwurf gemacht wird“.

Sipos stellt eine fortschreitende „Enttheologisierung der Sexualethik“ fest: „Während Progressive ihren konservativen Kontrahenten starren Moralismus vorwerfen, erschöpfen sich ihre eigenen Argumente erst recht in moralisierenden Appellen für eine Akzeptanz von nicht näher definierten queeren Selbst- und Lebensentwürfen im Namen eines vage bestimmten christlichen Liebesgebotes.“

Die Peripherie ist keine Bedrohung

Die Pressereferentin kommt zu dem Schluss, dass es einen „frischen Blick“ auf uralte Fragen – „Was ist der Mensch als Mann, als Frau – im Bilde Gottes?“ – braucht. Dieser müsse sich von einer „arrivierten Moral eines arrivierten Christentums“ emanzipieren, aber nicht von den biblischen Prämissen: „Eine Perspektive, die es nicht als Bedrohung, sondern als Chance begreift, wenn die im besten Sinne orthodoxe Sexualethik aus dem Mainstream entkirchlichter wie christlich-kirchlich etablierter Lebensvollzüge an deiePeripherien gedrängt wird.“ Gott habe die Menschen nicht ohne Grund als Frauen und Männer erschaffen. Sie seien eine jeweils am anderen reifende Identität. Es brauche Gemeinden, die der biblischen Erzählung Gehör verschaffen, „auch wenn sie damit an die Peripherie geraten“.

Das Deutsche Institut für Jugend und Gesellschaft wird getragen von der ökumenischen Kommunität „Offensive Junger Christen“. Sie entstand 1968 mit dem Ziel, zu einer Erneuerung in Kirche und Gesellschaft beizutragen. Die Kommunität befasst sich vor allem mit Jugendarbeit, Entwicklungshilfe, Seelsorge und ethischen Fragen. Prior ist Konstantin Mascher.

Lesen Sie zu dem Thema auch die im vergangenen Jahr bei der Evangelischen Nachrichtenagentur IDEA erschienenen Beiträge:

Parzany: Das Versteckspiel ist zu Ende – was kommt nun?

Grabe: Theologische Streitgespräche allein helfen nicht weiter

Allianzvorsitzender widerspricht Grabe: Gleichstellung ist nicht möglich

Generalsekretär der Baptisten: Die Argumente sind ausgetauscht

Bischof Rückert: Ich für meinen Teil stelle mich an die Seite von Grabe

Interview: Haben Homosexuelle den Segen Gottes?

Streit über Homo-Partnerschaften: So äußern sich Kirchen und Verbände

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