Frei-/Kirchen
Die europäische Theologiegeschichte neu schätzen lernen
29.10.2022
Bad Liebenzell (IDEA) – In christlichen Gemeinden hat die Theologie stark an Bedeutung verloren. Das beklagt der Rektor der Internationalen Hochschule Liebenzell (IHL), Prof. Volker Gäckle (Calw), im aktuellen Magazin (Ausgabe Nr. 3) der württembergischen „ChristusBewegung Lebendige Gemeinde“.
Eine Gemeinde ohne Theologie ist laut Gäckle „wie ein Baum ohne Wurzeln. Seine Früchte werden weniger, ihre Genießbarkeit wird langsam geringer und das Holz wird knorriger oder morscher.“ Die Gemeinden bräuchten den steten Austausch mit der Theologie.
Dabei gehe es nicht unbedingt um die jeweils neuesten theologischen Trends aus den theologischen Fakultäten, sondern um das Gespräch mit einer 2000-jährigen Theologiegeschichte, „in der (fast) alle Fragen, die uns heute umtreiben, auf die eine oder andere Weise schon einmal durchdrungen und beantwortet wurden“. Die Geschichte der Theologie sei zwar keine zweite Bibel, „aber ein Weisheitsbuch des Glaubens, in dem viele Erfahrungen mit verirrten Wegen des Glaubens verarbeitet wurden“. Wer aus diesem Gespräch aussteige, werde anfällig für sehr subjektive Deutungen und Bibelauslegungen, „die fast immer extreme Lehren und bald darauf Spaltungen und Trennungen“ nach sich zögen.
Die Niedrigschwelligkeit nicht übertreiben
Eine Gemeinde ohne Theologie werde früher oder später „eine Gemeinde ohne Jugendliche, Neubekehrte, Zweifelnde und Angefochtene“ sein, wenn sie auf ihre Fragen keine Antworten bekämen. „Es ist dann eine Gemeinde, die Sonntag für Sonntag den Zufriedenen das abgedroschene Stroh eines undurchdachten Glaubens anbietet, das aber niemanden mehr provoziert und ärgert, niemanden mehr überrascht oder bewegt und deshalb auch niemanden mehr erfrischt und zum lebendigen Wasser führt.“ Solche Gemeinden seien „übrigens nicht unbedingt überaltert. Es gibt sehr junge und hippe Gemeinden mit langen theologiebefreiten Lobpreisgottesdiensten, die keine Antwort auf irgendetwas enthalten.“
Immer öfter begegne Christen auch die Erwartung, dass Predigten, Bibelarbeiten und Aus- und Fortbildungsangebote „niederschwelliger“ werden müssten. Predigten müssen immer einfacher, immer unterhaltsamer und immer praktischer sein. Es schwinde dabei die Bereitschaft, sich um Gottes Wort und Wahrheit zu mühen und um sie zu ringen. „Und es schwindet die Geduld, auf Gottes Antwort zu warten. Gott ist kein Gott der kurzen und knappen Antworten auf die großen Fragen nach dem Sinn des Leids und nach dem Leben im Angesicht des Todes, sondern des durchlebten Glaubens.“ Es habe schon einen tiefen Sinn, dass Gott sich nicht in einem Twitter-Beitrag mit maximal 280 Zeichen zu erkennen gegeben habe, sondern sich in einem Buch über eine Geschichte von mehr als 2.000 Jahren offenbare.
Auch der globale Süden braucht die Theologie des Nordens
Gäckle nimmt zwar einen starken Relevanzverlust der europäischen Kirchen und ihrer Theologie wahr, warnt jedoch auch davor, das Kind „mit dem Bade“ auszuschütten. Was in 2.000 Jahren Theologiegeschichte und in 500 Jahren Protestantismus „geglaubt, gedacht, geschrieben und gestritten worden“ sei, dürfe nicht unterschätzt werden. „Hier wurden das Wort und die Wahrheit Gottes in einer Tiefe und Weite durchdrungen, die uns alle zu theologischen Zwergen werden lässt, die den kritischen Mund nicht zu voll nehmen sollten.“ Die europäischen Kirchen und deren Theologie seien schließlich immer wieder in der Lage gewesen, sich zu reformieren und durch die Rückkehr zu ihren biblisch-theologischen Wurzeln gesund zu werden.
Außerdem sei noch gar nicht ausgemacht, wie es mit den dynamisch wachsenden Kirchen im globalen Süden und ihrer Theologie weitergehe. „Auch dort ist nicht alles biblisches Gold, was glänzt, insbesondere dort, wo im Rahmen eines Wohlstandsevangeliums viel über Gold und Geld gepredigt wird.“ Es werde der Tag kommen, an dem auch die Schwestern und Brüder aus dem globalen Süden „nach unseren Erfahrungen und Einsichten im Blick auf die Irrungen und Wirrungen in Gemeinde, Kirche und Theologie“ fragen würden, weil sie vor ähnlichen Herausforderungen stünden.
Die „ChristusBewegung Lebendige Gemeinde“ mit Sitz in Korntal-Münchingen wurde 1952 als Ludwig-Hofacker-Vereinigung gegründet und wird von mehreren Gemeinschaftsverbänden und Missionswerken unterstützt. In der Landessynode unterstützt er den gleichnamigen theologisch konservativen Gesprächskreis „Lebendige Gemeinde“.
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