Kommentar
Vergeben bringt Segen
25.12.2021
„Was wir vom ersten christlichen Märtyrer lernen können“ – Am 2. Weihnachtstag wird im Kirchenjahr traditionell an den ersten christlichen Märtyrer erinnert: Stephanus. Dazu die gekürzte Predigt von Helmut Matthies zum Abschluss des Kongresses „Christenverfolgung heute“, der von IDEA und dem christlichen Gästezentrum Schönblick in Schwäbisch Gmünd veranstaltet wurde.
In Apostelgeschichte 6 bis 8 wird vom Diakon Stephanus berichtet. Er wurde von radikalen Juden gesteinigt, weil er sich zu Jesus Christus als dem im Alten Testament verheißenen Messias bekannte. Mit seinem Tod etwa im Jahr 40 beginnt die Verfolgung der christlichen Gemeinde. In den nächsten drei Jahrhunderten mussten zahllose Christen sterben, weil sie nicht den römischen Kaiser als Gott verehren wollten, sondern Jesus Christus.
1. Vergebung bewirkt oft Positives
Als Stephanus gesteinigt wurde, geschieht menschlich schier Unglaubliches: Stephanus bittet Gott, seinen Mördern zu vergeben. Es wäre mehr als verständlich gewesen, hätte er eine harte Strafe gefordert. Doch er nimmt die Bitte in dem Gebet ernst, das Jesus uns befohlen hat zu beten: das Vaterunser.
Dort heißt es: „Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.“ Die älteste Fassung bringt es noch besser auf den Punkt: „Wie auch wir vergeben haben.“ Prof. Gerhard Maier schreibt in seiner wissenschaftlichen Auslegung: „Ein Jünger, der nicht vergeben hat und nicht vergeben will, kann die Vergebung des Vaters nicht erbitten.“
Anders ausgedrückt: Dass Gott uns vergibt, hängt davon ab, ob auch wir anderen vergeben! Nach jedem Gottesdienst – zu dem ja ein Vaterunser gehören sollte – darf es dann eigentlich in einer Gemeinde oder Familie keinen Streit mehr geben – oder wir würden das Evangelium verramschen! Dann aber wäre es besser, hier nicht mitzubeten und die Schuld zu behalten!
Der Ostblock und die Türkei
Drei Beispiele dafür, was Vergebung bewirkt: Die größte Christenverfolgung geschah im sozialistischen Ostblock von 1917 bis 1991. Der Erste, der darüber als Betroffener groß berichtete, war 1967 Richard Wurmbrand mit seinem Buch „Gefoltert für Christus“. Unter der sozialistischen Herrschaft in Rumänien kam er als Pastor 14 Jahre ins Gefängnis. Dann wurde er von norwegischen Christen freigekauft und gründete 1967 die Hilfsaktion Märtyrerkirche (HMK).
Warum wurden nach seinen Vorträgen immer wieder Zuhörer Christen? Weil er stets betonte: „Ich habe meinen Peinigern vergeben. Ich hasse den Kommunismus, aber ich liebe die Kommunisten.“ Dass jemand nach so viel Leid vergeben kann, bezeugt mehr als viele Worte, was die Botschaft von Jesus bewirkt. Vergeben bringt Segen!
Ein jüngeres Beispiel aus der Türkei ist die Familie Geske. Der deutsche evangelikale Theologe Tilman Geske arbeitete in einem kleinen christlichen Verlag im türkischen Malatya. Fanatische Muslime schnitten ihm und zwei türkischen Christen 2007 die Kehle durch. Ein furchtbares Martyrium!
Frau Geske vergab öffentlich den fünf Tätern. Ihre Tochter Miriam berichtete später in IDEA: „Der Tod meines Vaters hat in der Türkei großen Segen ausgelöst. Nicht nur die christliche Gemeinde in Malatya ist gewachsen. Überall im Land sind Menschen Christen geworden“. Vergebung bringt Segen!
Honecker und der Pastor
Das jüngste Beispiel: Demnächst wird ein außergewöhnlicher Film im ZDF zu sehen sein: „Honecker und der Pastor“ (so der Arbeitstitel). Zum Hintergrund: Nach dem Fall der Mauer am 9. November 1989 vermochte es die SED nicht, für ihren gestürzten Staatschef Erich Honecker ein Quartier zu besorgen.
Die Sozialisten klopften ausgerechnet bei der Kirche an, die sie 40 Jahre lang diskriminiert hatten. Das Pastorenehepaar Uwe und Sigrid Holmer aus Lobetal bei Berlin erklärte sich schließlich bereit, Honecker und seine Frau Margot über zehn Wochen aufzunehmen. Ausgerechnet dieses Paar erbarmte sich, obwohl dessen zehn Kinder trotz bester Noten nicht das Abitur machen durften, weil sie nicht an der atheistischen Jugendweihe teilnahmen!
Auf die Frage in vielen Medien, warum ausgerechnet sie Honeckers Obdach gaben, erklärte Uwe Holmer: „Ein Neuanfang braucht Vergebung.“ Das beeindruckte offensichtlich einen der beliebtesten deutschen Schauspieler, den „Tatort“-Star Jan Josef Liefers, so sehr, dass er in den letzten Monaten diesen Film drehte. Vergeben bringt Segen – jedenfalls in vielen Fällen!
2. Es geht allein um Jesus
Stephanus ist nicht hingerichtet worden, weil er politisch extrem gewesen wäre, sondern allein deshalb, weil er sich zu Jesus bekannte. Warum gehen Menschen für Jesus notfalls sogar in den Tod? Weil Jesus ihnen das wert ist! Weil nur er ein erfülltes Leben hier und in Ewigkeit ermöglicht.
Denn allein das Bekenntnis zu Christus in Wort und Tat ist die Eintrittskarte für den Himmel: „Wer mich bekennt vor den Menschen, den will auch ich bekennen vor meinem himmlischen Vater“ (Matthäus 10,32). Und Jesus sagt es unmissverständlich: „Niemand kommt zum Vater außer durch mich“ (Johannes 14,6).
Das gilt für alle: Heiden, Juden, Muslime u. a. Wenn deutsche Bischöfe in den letzten Jahren in ihren Grußworten zum islamischen Fastenmonat Ramadan aus falsch verstandener Rücksichtnahme auf den Islam den Namen Jesus mit keinem Wort mehr erwähnen, verschweigen sie damit auch, wie Muslime in der Ewigkeit bestehen können!
Wir erleben eine Jesus-Demenz
Wir erleben mittlerweile eine verhängnisvolle Jesus-Demenz. In immer mehr kirchlichen Stellungnahmen ist nur noch von Gott die Rede, nicht mehr von Jesus. Doch Gott hat sich in Christus offenbart! Der Apostel Petrus bekennt es klar: „Es ist in keinem anderen Heil, ist auch kein anderer Name den Menschen gegeben, durch den wir selig werden“ (Apostelgeschichte 4,12).
Das für Christen Wichtigste in Berlin
Für mich als Christ ist das Bedeutendste an der Hauptstadt Berlin, dass auch auf dem wiedererbauten Stadtschloss (auch Humboldt-Forum genannt) dieser über das ewige Leben entscheidende Satz oben auf der Kuppel in großen Lettern zu lesen ist.
Der fromme preußische König Friedrich Wilhelm IV. hatte um 1848 dafür gesorgt, dass dieser Vers (zusammen mit Philipper 2,10) die Kuppel umrundete. Anstatt dass sich die evangelische Kirche darüber freut, dass auf den „Herrn der Kirche“ so prominent hingewiesen wird, kommentierte der Bischof der Stadt: „Intolerante Exklusivitätsansprüche sind auch als historische Zitate gefährlich und brauchen Gegenbilder.“
Ist also Jesus gefährlich? Hat das Wort des Apostels Petrus keine Gültigkeit mehr? Die Bibelverse sollen übrigens künftig von „zeitgemäßen Worten“ überdeckt werden.
Endzeitliche Züge?
Offenbart das immer häufigere Verschweigen von Jesus schon endzeitliche Züge? Einer der bedeutendsten russischen Philosophen, Wladimir Solowjew, veröffentlichte 1899 die „Erzählung vom Antichrist“.
Danach beruft am Ende der Zeit ein großer Herrscher ein ökumenisches Konzil, um die Einheit aller Religionen zu erreichen. Die Masse der Kirchenmitglieder macht mit.
Nur wenige bekennen sich weiter zu Christus. Aus Angst fliehen sie in die Wüste. Ist das die Zukunft: noch mehr Martyrium – erstmals auch im westlichen Abendland? Zu wem gehören dann Sie und ich? Zu den Mitläufern oder zu denen, die an Jesus festhalten?
3. Warum lässt Gott Leid zu?
Warum lässt Gott Leid wie bei Stephanus überhaupt zu? Ich erlebe, dass für Heiden das Haupthindernis, sich auf Gott einzulassen, die Frage ist: „Wenn es einen allmächtigen Gott gibt, warum müssen dann auch Christen leiden?“ Von daher ist es wichtig, den Preis des Christseins nicht zu verschweigen. Jesus beschreibt ihn mit einem ungewöhnlichen Bild: „Wer mit mir kommen will, darf nicht an seinem Leben hängen. Er muss sein Kreuz auf sich nehmen und mir auf meinem Weg folgen“ (Matthäus 16,24).
Christsein kann also auch mit Leid verbunden sein. Jesus verheißt eben kein glückliches Leben im üblichen Sinne. Er erklärt vielmehr in der Bergpredigt: „Selig sind, die da Leid tragen, denn sie sollen getröstet werden. Selig sind, die verfolgt werden, weil sie tun, was Gott will“ (Matthäus 5).
Doch warum erspart Gott nicht manchen seiner Nachfolger Demütigungen, Schmerz und einigen sogar den Märtyrertod? Wir werden vermutlich in vielen Fällen erst in der Ewigkeit erfahren, warum Gott auf krummen Wegen in manchem Leben gerade gegangen ist.
Aber es gibt Beispiele, die manches erklären könnten. Nach der Steinigung des Stephanus flohen viele Mitglieder der Urgemeinde in Jerusalem aus Panik in alle Teile des Heiligen Landes. Und dann verkündeten sie dort das Evangelium. Ohne den schrecklichen Tod von Stephanus wäre also die christliche Botschaft vermutlich nicht so schnell überall bekanntgeworden.
Im Deutschen wird bei Problemen oft die Frage gestellt: warum? Das ist ein Blick in die Vergangenheit! Im Hebräischen steht stattdessen mancherorts: wozu? Ein Blick in die Zukunft! Wozu lässt Gott Leid zu? Ich möchte schließen mit einer Geschichte, die helfen kann, eine Antwort zu finden.
Zu einem Jahrestag der Friedlichen Revolution in der DDR Ende 1989 hat IDEA eine Reise unternommen mit rund zehn Christen, die in der zweiten sozialistischen Diktatur in Deutschland im letzten Jahrhundert inhaftiert waren. Dabei waren einige Journalisten und Gäste. Wir besuchten die einstigen Zuchthäuser für Gewissensgefangene in Berlin-Hohenschönhausen, Cottbus, Torgau, Potsdam, Bautzen und Hoheneck.
Ein Teilnehmer war Hansjörg Stephan, der heute in Neukirchen-Vluyn bei Düsseldorf lebt. Seine Leidensgeschichte begann am 18. Januar 1950. Als Leiter einer evangelischen Jugendgruppe ging er – 21 Jahre alt – in Potsdam von einer Bibelstunde nach Hause. Auf dem Bürgersteig sah er Flugblätter liegen. In dem Moment, als er eins aufhob, stürzten sich zwei sowjetische Geheimdienstmitarbeiter auf ihn und behaupteten, er habe die antikommunistischen Flugblätter produziert.
Er kam ins berüchtigte KGB-Gefängnis (heute eine sehenswerte Gedenkstätte) nach Potsdam, wurde gefoltert und zu 25 Jahren Haft verurteilt. Als unschuldiger Christ durchlief er fünf Zuchthäuser in der DDR. Im letzten Knast, in dem er war, im sächsischen Torgau an der Elbe, berichtete er unserer Gruppe von all seinen Leiden ohne jeden Hass auf die SED-Sozialisten (heute umbenannt in „Die Linke“).
Gott braucht überall seine Leute
Plötzlich stand eine junge Frau auf und fing an zu schreien: „Ihr Christen, hört doch endlich auf, von einem liebenden Gott zu reden. Das Beispiel dieses Mannes zeigt doch, dass Gott nicht lieb ist, wenn er einen unschuldigen Christen zu 25 Jahren schwerster Haft verurteilen lässt.“
Ich musste das alles moderieren und war hilflos, denn irgendwie schien sie ja recht zu haben. Ich blickte fragend zu Hansjörg Stephan (er ist später im Westen Pfarrer geworden) in der Hoffnung, dass er eine Antwort haben könnte.
Und er antwortete ganz ruhig: „Wissen Sie, junge Frau, Gott braucht überall seine Leute. In all den Zuchthäusern, in denen ich war, war ich auf unserem Trakt der einzige Christ, der seinen ebenfalls unschuldig inhaftierten Mitgefangenen sagen konnte: Es gibt auch in diesem Elend einen Heiland, der euch inneren Frieden schaffen kann.“
Gott braucht eben überall seine Leute! Kann es sein, dass ich z. B. ins Krankenhaus muss – oder meinen Arbeitsplatz, meinen Wohnort wechseln muss –, auch weil Gott mich da als seinen Zeugen haben will? Was ich möglicherweise als unangenehm oder Leid empfinde, kann für Gott ein Baustein in seinem Reich sein.
Nutzen wir die noch vorhandene Freiheit!
Seit 1990 ist die DDR-Diktatur Geschichte. Jetzt endlich gibt es in ganz Deutschland Freiheit. Wir sollten diese von Gott geschenkte Gnadenzeit nutzen, das Evangelium weiterzusagen und entsprechend glaub-würdig leben. Die Freiheit kann bald zu Ende sein. Deshalb nutzen wir sie!
Hat Ihnen dieser Artikel gefallen?
IDEA liefert Ihnen aktuelle Informationen und Meinungen aus der christlichen Welt. Mit einer Spende unterstützen Sie unsere Redakteure und unabhängigen Journalismus. Vielen Dank.