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Pro & Kontra

Das kirchliche Arbeitsrecht abschaffen?

25.05.2022

Ralf Hubert und Jörg Kruttschnitt. Fotos: privat; Diakonie/ Thomas Meyer
Ralf Hubert und Jörg Kruttschnitt. Fotos: privat; Diakonie/ Thomas Meyer

Die Kirchen in Deutschland dürfen ein eigenes Arbeitsrecht führen. Das garantiert die Verfassung. Sie zählen mit ihren karitativen Einrichtungen (z. B. Caritas, Diakonie) zu den größten Arbeitgebern im Land. Wegen der Sonderregelungen zu Einstellungsvoraussetzungen, Tarifverhandlungen und Streikrecht kommt es immer wieder zu Kritik am sogenannten „Dritten Weg“. In den Koalitionsgesprächen vereinbarten die Regierungsparteien zu prüfen, das kirchliche Arbeitsrecht dem staatlichen anzugleichen.

PRO

Ja, weil es der EKD und den Gliedkirchen in 70 Jahren nicht gelungen ist, für diakonische Unternehmen ein einheitliches Arbeitsrecht, geschweige denn ein gleichsam wirksames Arbeitsrecht wie das weltliche zu schaffen.

Die Arbeitsrechtssetzung im „Dritten Weg“ behindert, Arbeitsbedingungen mitzugestalten. Den Kollegen in den arbeitsrechtlichen Kommissionen bleibt – ohne öffentlichen Druck und ohne Personalmangel – nur „kollektives Betteln“.

19 Gesetze zur Arbeitsrechtssetzung und 22 Regelungen zur Mitbestimmung haben nur eins gemeinsam: Sie schaffen es, dass die zum Teil gleichlautenden Formulierungen in kirchlichen Regelungen eine gleichwirksame Mitbestimmung wie im weltlichen Bereich verhindern. Sie erschweren, gemeinsam mit anderen Einfluss auf die Arbeitsbedingungen zu nehmen. Die Möglichkeiten diakonischer Arbeitgeber, die Regelungen anzupassen, wenn nach ihrer Ansicht die Mitarbeiter zu mächtig werden, darf nicht bestehen bleiben.

Diakonische Einrichtungen sind Wirtschaftsunternehmen. In weltlichen Wirtschaftsunternehmen wird Arbeitsrecht im Rahmen von Tarifverhandlungen gesetzt. Alle abhängig Beschäftigten, die über privatrechtliche Arbeitsverhältnisse angestellt sind, müssen die gleichen Rechte haben. Nur dann ist eine wirksame Mitgestaltung der Arbeitsbedingungen im sozialen Bereich möglich, und die Mitarbeiter der Diakonie können sich auf die christlichen Werte ihrer Arbeit besinnen.

Einschränkungen der Mitarbeiter und ihrer Vertretungen waren noch nie zeitgemäß und widersprechen dem grundsätzlichen demokratischen Verständnis der Evangelischen Kirche!

(Der Autor, Ralf Hubert (Münster), ist seit 2014 Vorsitzender der „Arbeitsgemeinschaft der Mitarbeitervertretungen Westfalen-Lippe“ (AGMAV) und seit April 2022 Mitglied der Sprechergruppe der Bundeskonferenz der Gesamtausschüsse und AGMAVen.)

KONTRA

Die Koalition hat gerade nicht die „Abschaffung“ des kirchlichen Arbeitsrechts in die Koalitionsvereinbarung geschrieben, sondern, sehr viel klüger, den Prüfauftrag einer „Angleichung“. Aus Sicht von Kirche und Diakonie gehören laufende „Angleichungen“ zu unserem laufenden Geschäft. Gerade in den vergangenen Jahren sind umfangreiche Reformen umgesetzt worden, etwa die Aufnahme von Tarifverhandlungen ins Kirchenrecht, zwei umfangreiche Reformen des Mitarbeitervertretungsgesetzes und die – in ihrer Art einzigartige – Verbandsempfehlung zur Unternehmensmitbestimmung.

Eine pauschale „Angleichung“ wäre in vielen Fragen eine Angleichung nach unten. Zu der sind wir nicht bereit. Und warum sollten wir auch nach unten angleichen?

– Denn unsere klugen Verhandlungssysteme, die den Arbeitskampf durch das rationale Verfahren einer Schlichtung ersetzen, führen anerkanntermaßen zu überdurchschnittlichen Vergütungen für die Mitarbeitenden, in aller Regel in den obersten 20 %. Soll das abgesenkt werden?

– Aber auch die tariflichen Mantelregelungen wie eine Jahressonderzahlung, Kinderzuschläge, eine zusätzliche kirchliche Altersversorgung etc. sind Bestandteile attraktiver diakonischer Tarife. Soll das nach unten angeglichen werden?

– Wie kann man die Abschaffung eines Systems fordern, das die höchste Betriebsratsdichte im Vergleich zur Gesamtwirtschaft hervorbringt? Bei uns liegt sie bei weit über 90 Prozent aller Einrichtungen gegenüber nur neun Prozent aller Betriebe in der gesamten Wirtschaft. Kann man das nach unten angleichen wollen?

– In der Frage der Kirchenmitgliedschaft als Einstellungsvoraussetzung haben die letzten Jahre bereits deutliche Öffnungen erbracht. Und die Arbeit geht weiter.

Kirche und Diakonie arbeiten stets an der laufenden Reform ihres Arbeitsrechts und verbessern es laufend. Sie wollen es aber nicht verschlechtern.

(Der Autor, Jörg Kruttschnitt (Berlin), ist Vorstand für Finanzen, Personal und Recht der Diakonie Deutschland.)

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