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Bayer, Bischof, Papst und Provokateur

02.01.2023

Der evangelische Theologe Jürgen Henkel. Foto: privat
Der evangelische Theologe Jürgen Henkel. Foto: privat

Der evangelische Gemeindepfarrer Jürgen Henkel sieht im verstorbenen Papst Benedikt XVI. einen Theologen, der in Deutschland nicht angemessen gewürdigt wird.

Das große Herz eines außergewöhnlichen Theologen und Papstes hat aufgehört zu schlagen: der emeritierte Pontifex Benedikt XVI. ist heimgegangen zum Herrn. Man muss hoch greifen, um Persönlichkeit, Leben und Werk dieses 1927 in Bayern geborenen Kirchenmannes angemessen zu würdigen. Joseph Ratzinger war Bayer, Bischof und Kirchenlehrer – und als Benedikt XVI. seit Gregor dem Großen († 604) wohl der herausragendste Theologe und Denker auf dem Papstthron.

Die Bewahrung des christlichen Europa und das Werben für eine von christlichen Werten geprägte Welt war für ihn Aufgabe und Herausforderung zugleich. Joseph Ratzinger verstand es, die Botschaft des Glaubens gleichzeitig in Treue zur Lehrtradition zu vermitteln und in beispielloser intellektueller Brillanz vor dem Denken der Gegenwart zu verantworten. Er brachte Glaube und Vernunft in eine Symbiose, auch im Dialog mit Jürgen Habermas. Hinweise darauf findet man indes kaum in den säuseligen Nachrufen, die sich meist am Missbrauchsskandal festbeißen.

Ratzinger setzt Zeichen – auch beim Thema Missbrauch

Dabei setzte Ratzinger auch hier Zeichen, als Kurienpräfekt wie als Papst. Er hat rund 400 Missbrauchspriester suspendiert und das Kirchenrecht verschärft wie nie zuvor. Er hat dies erstmals überhaupt als Straftatbestand festgeschrieben und bei Begegnungen mit Opfern immer wieder sein tiefes Bedauern zum Ausdruck gebracht. Als Papst sprach er von „Schmutz in der Kirche“ und geißelte wie kein Papst vor ihm das Versagen kirchlicher Amtsträger.

Neben der theologischen und kirchenpolitischen Prinzipientreue Ratzingers provozierte vor allem sein Anspruch, politische Mehrheitsentscheidungen immer auch an die Frage von Schöpfungsordnung, Naturrecht und Wahrheit zu binden. Überragend war in diesem Zusammenhang seine Rede im Deutschen Bundestag 2011, konzentriert und brillant begründet seine Überlegungen dazu bereits in der Schrift „Wahrheit, Werte, Macht. Prüfsteine der pluralistischen Gesellschaft“ von 1993.

Es gibt viele falsche Erwartungen

Schon 2005 hat er in seiner denkwürdigen Predigt am Sarg von Johannes Paul II. eindringlich vor der „Diktatur des Relativismus“ gewarnt. In einer Welt, die heute Ideologie an die Stelle der Biologie setzt, die Abtreibung als „Menschenrecht“ propagiert und die Sinnfrage rein diesseitig nach dem Lust- und Konsumprinzip beantwortet und gleichzeitig apokalyptischen Phantasien frönt, statt nach Gott zu fragen, musste ein Theologe und Kirchenmann wie Joseph Ratzinger als Provokateur erscheinen.

Viele „hohe Erwartungen“ habe Papst Benedikt XVI. nicht erfüllt, heißt es nun. Dabei waren es schlicht falsche Erwartungen. Mit der Erklärung „Dominus Iesus“ hat er im Jahr 2000 als Kardinal nichts anderes getan, als die katholische Lehre von der Kirche zu unterstreichen. Und auch in Erfurt 2011 konnte er als Papst den Protestanten nicht mehr „anbieten“. Gleiches gilt für Themen wie Abtreibung, Homosexualität und Frauenordination. Die Perspektive eines Papstes ist die Weltkirche, seine Aufgabe die Bewahrung der katholischen Lehre für die ganze Welt, nicht die Befriedigung von Modernisierungsgelüsten deutscher Journalisten und Linkskatholiken oder protestantischer Gesprächspartner.

Dankbar verneigen

Wer sich wirklich mit Joseph Ratzinger bzw. Benedikt XVI. als Theologen, Kirchenmann und Papst beschäftigt, der kann sich nur dankbar verneigen vor dieser großen Persönlichkeit und Lebensleistung. Gerade weil der mediale Kampf gegen ihn posthum weiterzugehen scheint, gilt umso mehr: Möge Er in Frieden ruhen und das Ewige Licht leuchte ihm!

Dr. Jürgen Henkel (Selb) ist Gemeindepfarrer der Evang.-Lutherischen Kirche in Bayern, Professor h.c. an der Babeş-Bolyai-Universität Klausenburg in Rumänien und Schriftleiter der Zeitschrift „Auftrag und Wahrheit. Ökumenische Quartalsschrift für Predigt, Liturgie und Theologie“.

 

IDEA hat 2011 ausführlich über den Papst-Besuch in Deutschland berichtet. Hier können Sie alle IDEA-Beiträge als pdf herunterladen.

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