Bericht
Asia Bibi ist kein Einzelfall
28.11.2018
Walter Fazal Khan sitzt auf einer heruntergekommenen Couch. Verzweifelt schaut der Senior in eine Videokamera. „Ich habe alles verloren“, klagt er. Früher war er ein erfolgreicher Geschäftsmann in Pakistan. Er verkaufte Autos, hatte große Ausstellungs- und Verkaufsräume. Das weckte vor rund zehn Jahren den Neid von Muslimen. Ein Mitarbeiter warf dem Christen vor, einen Koran verbrannt zu haben. Walter wurde wegen Blasphemie angeklagt und saß 6 Monate im Gefängnis. Ein wütender Mob griff derweil auch sein Haus und seine Ehefrau an und drohte, sie zu töten, wenn sie nicht Muslima werde. Sie gehorchte. Kurze Zeit später verstarb sie. Wo die Muslime sie beerdigten, weiß Khan bis heute nicht. Die Blasphemiegesetze sind ein gefährliches Werkzeug. Sie sollen die Gefühle der islamischen Gläubigen schützen, werden jedoch häufig missbraucht. Die größte Opfergruppe sind Ahmadiyya-Muslime, doch die Zahl der angeklagten Christen ist bedeutend höher, als es ihrem Bevölkerungsanteil von etwa 2 % entspricht. Wer einmal verurteilt wurde, kann immer wieder angegriffen werden. Walter Fazal Khan befindet sich deswegen an einem geheimen Ort in einem Haus der christlichen Organisation „Christians‘ True Spirit“ (Wahrer christlicher Geist/CTS). Sie haben das Video erstellt, berichtet der aus Pakistan stammende Menschenrechtler Asher Sarfraz, der das Werk von Deutschland aus unterstützt.
Wenn Vorwürfe erfunden werden
Der Blasphemievorwurf ist meistens nur ein Vorwand, sagt Sarfraz. Oft geht es um andere Dinge: Weist ein christliches Mädchen einen Muslim zurück, könnte er aus gekränkter Eitelkeit den Vorwurf erfinden, sie habe Mohammed beleidigt. Will ein Christ ein begehrtes Grundstück nicht abgeben oder ein Muslim in einer von einem Christen geführten Werkstatt nicht zahlen, lässt sich das mit dem Vorwurf der Koranschändung „lösen“. Alles so ähnlich bereits vorgekommen, erzählt Sarfraz. In dem Moment ist das bisherige Leben des Beschuldigten und seiner Familie vorbei.
Entführt und zwangsverheiratet
Deswegen betreibt die Organisation CTS mehrere Häuser in Lahore und Umgebung. In einer Unterkunft finden Opfer von Blasphemievorwürfen und ihre Familien Unterschlupf. Wo das Haus ist, weiß nur ein kleiner Kreis von Helfern. Sie bringen das Essen vorbei. Für die Kinder ist es eintönig. Sie dürfen das Gebäude nicht verlassen, an eine Schulbildung ist gar nicht zu denken. Immer wieder werden laut Sarfraz junge Christinnen von Muslimen entführt, zwangsislamisiert und -verheiratet. Wenn sie es bei ihren zumeist viel älteren muslimischen „Ehemännern“ nicht mehr aushalten, können sie nicht zu ihren Familien zurück, da sonst Angriffe von Islamisten drohen. Für einige wenige von ihnen hat CTS ein weiteres Haus.
Ehepaar wurde 2014 zum Tode verurteilt
Die Situation der mittlerweile freigesprochenen Asia Bibi ist besonders, weil sie die erste Frau war, die die Todesstrafe erhielt. Aber auch eine weitere Frau sowie mehrere Männer wurden zum Tode verurteilt: Das Ehepaar Shafaqat Emmanuel und Shagufta Kasuar sitzt seit 2014 in der Todeszelle. Es soll SMS verschickt haben, die den Propheten Mohammed und den Koran verunglimpfen. Dabei können beide kaum lesen und schreiben. Der Ehemann wies die Vorwürfe zurück. Doch als die Behörden drohten, seine Ehefrau nackt durch die Straßen zu schicken, „gestand” er. Der Verurteilte ist an den Rollstuhl gefesselt. Das Paar hat vier minderjährige Kinder.
Drei Männer sitzen seit 2002 in der Todeszelle
Im Todestrakt des Gefängnisses von Faisalabad befindet sich Sawan Masih. Der heute 32-Jährige lebte in der sogenannten Joseph-Kolonie in Lahore. Nachdem ein muslimischer Nachbar ihn 2013 der Gotteslästerung beschuldigt hatte, kam es zu schweren Ausschreitungen. Mehr als 3.000 aufgebrachte Muslime steckten über 100 Häuser von Christen an. Masih führt die Anschuldigungen auf einen Grundstücksstreit zurück. Über seinen Einspruch hat das Oberste Gericht in Lahore bis heute nicht entschieden. Anwar Kenneth, Waji-ul-Hassan (Murshad Masih) und Augustine Ashiq Kingri Masih wurden bereits 2002 zum Tode verurteilt und sitzen seitdem im Gefängnis. Darüber hinaus gibt es Frauen, Jugendliche und Behinderte, die jahrelange Gefängnisstrafen erhalten, sagt Sarfraz. Auf den Gefängnishof trauen sie sich zumeist nicht: „Die Angst, ermordet oder angegriffen zu werden, ist zu groß.“
Vergesst die anderen Christen nicht!
Die christliche Menschenrechtsanwältin Aneeqa Anthony setzt sich in Pakistan unermüdlich für verfolgte Christen ein. Sie beklagt, dass das internationale Interesse sich nur auf Bibi beschränkt: „Was ist mit den anderen Christen, die in den Gefängnissen leiden?“ Viele ausländische Botschaften in Pakistan hätten Bibi unterstützt. Die schwedische, spanische und US-Botschaft hätten die Anwaltskosten übernommen, andere hätten ihre Familie finanziell großzügig bedacht und sie in ihre Länder zu Vorträgen eingeladen. Aber ihres Wissens nach habe keine Botschaft anderen Blasphemieopfern geholfen, obwohl deren Familien in Gefahr seien und jederzeit ermordet werden könnten. Sie würde sich einen stärkeren internationalen Einsatz auch für alle anderen Geschädigten wünschen.
Saudi-Arabien finanziert Islamismus
Der Vorstandssprecher der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM), Martin Lessenthin, sieht besonders die Rolle von Saudi-Arabien kritisch. Zu viel Geld fließe aus dem streng wahhabitisch geprägten Land, in dem die barbarische Scharia Gesetz sei, nach Pakistan: „Der Staat hängt am Tropf von Saudi-Arabien. Ohne Zuwendungen würde der pakistanische Haushalt zusammenbrechen.“ Zudem finanziere Saudi-Arabien islamistische Parteien und Koranschulen. Das schwäche die Regierung, sie komme gegen die Islamisten nicht an: „Wir setzen uns für eine Welt ohne Blasphemiegesetze ein. Doch in Pakistan ist dieses Ziel in weite Ferne gerückt.“
Mutige muslimische Richter
Mutig sind vor diesem Hintergrund die muslimischen Richter und Gouverneure, die sich für Christen und andere Minderheiten einsetzen – obwohl sie wissen, dass sie deswegen alles verlieren können. 2011 sprach sich der Gouverneur von Lahore, Salman Taseer, für die Freilassung von Bibi und die Reform der Blasphemieparagrafen aus. Sein eigener Leibwächter, Mumtaz Qadri, tötete ihn daraufhin. Der Attentäter wurde zwar zum Tode verurteilt und gehängt, wird aber seitdem verehrt. Eine 2014 gebaute Moschee trägt seinen Namen. Der Richter, der den Leibwächter zum Tode verurteilte, musste hingegen das Land verlassen. Er ging nach Saudi-Arabien. Der (christliche) Minister für Minderheiten, Shahbaz Bhatti, bezahlte den Einsatz für Bibi 2011 mit seinem Leben.
Ist Bibi im Ausland vor Islamisten sicher?
Doch auch außerhalb Pakistans hat sich der Islamismus längst ausgebreitet. Der Menschenrechtsexperte Berthold Pelster vom päpstlichen Hilfswerk „Kirche in Not“ glaubt, dass Asia Bibi, sollte sie das Land verlassen dürfen, wegen ihrer Bekanntheit möglicherweise eine neue Identität annehmen muss: „Sie kann nicht einfach als freier Mensch in Deutschland oder einem anderen europäischen Land leben.“ Die von religiösen Fanatikern ausgehende Gefahr sei hoch. Konkret benennt es die IGFM-Referentin für Religionsfreiheit, Michaela Koller. Zu den Extremisten zähle etwa die „Khatme Nabuwwat Academy“ in London. Sie habe den Rechtsanwalt Ghulam Mustafa Chaudhry bevollmächtigt, die Klägerseite Bibis zu vertreten. Und Walter Fazal Khan? Er ist verzweifelt, aber nicht hoffnungslos: „Ich besitze nichts mehr. Was mir geblieben ist, ist die Liebe Gottes und die Liebe Jesu.“
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