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Evangelikale ringen um ihren Kurs

04.01.2016

v.l.: Der Vorsitzende der Deutschen Evangelischen Allianz, Pfarrer Michael Diener, und der frühere ProChrist-Hauptredner Ulrich Parzany. Fotos: idea/kairospress, proChrist
v.l.: Der Vorsitzende der Deutschen Evangelischen Allianz, Pfarrer Michael Diener, und der frühere ProChrist-Hauptredner Ulrich Parzany. Fotos: idea/kairospress, proChrist

Kassel (idea) – Die evangelikale Bewegung ringt um ihren Kurs beim Bibelverständnis und in ethischen Fragen. Auslöser für den Richtungsstreit waren Äußerungen des Vorsitzenden der Deutschen Evangelischen Allianz, Pfarrer Michael Diener (Kassel), der im Hauptamt Präses des Evangelischen Gnadauer Gemeinschaftsverbandes (Vereinigung Landeskirchlicher Gemeinschaften) ist. Diener hatte Evangelikale in der Tageszeitung „Die Welt“ dazu aufgefordert, selbstkritischer zu sein und ein neues Denken über Homosexualität, Politik und Mission verlangt. Seiner Meinung nach debattieren Evangelikale beispielsweise zu oft über das Thema Homosexualität. Er sehe auf der einen Seite für die in fast allen evangelischen Landeskirchen praktizierten Segnungs- oder Trauungsgottesdienste keine Anhaltspunkte in der Bibel. Auf der anderen Seite habe er aber auch gelernt, anzuerkennen, dass „Menschen bei dieser Frage die Bibel anders lesen“, so Diener. Von daher erkenne er auch Geistliche an, die meinten, ihre homosexuelle Partnerschaft vor Gott verantworten zu können. Gegenüber dem Magazin „Pro“ hatte er auf die Frage, ob praktizierende Homosexuelle in einer evangelikalen Gemeinde Mitarbeiter sein könnten, geantwortet: „Wenn Menschen ... der Meinung sind, dass die biblischen Aussagen über Homosexualität ihre Lebenssituation nicht treffen, dann sollten wir es möglich machen, dass sie bei uns angenommen sind, dass sie bei uns auch mitarbeiten können“. Aufgrund des Artikels in der „Welt“ äußerte der frühere ProChrist-Hauptredner Ulrich Parzany (Kassel) in einem Offenen Brief sein Unverständnis darüber, dass Diener die Evangelikalen immer wieder öffentlich kritisiere und biblische Positionen relativiere, „die wir doch gemeinsam vertreten“.

Teile der evangelikalen Bewegung gehen auf Distanz zu Diener

Der Kritik schlossen sich unter anderem die Konferenz Bekennender Gemeinschaften, der Bibelbund und der Evangelische Gemeinschaftsverband Siegerland-Wittgenstein an. Dagegen hat der Vorstand des Gnadauer Gemeinschaftsverbandes Diener „sein volles Vertrauen“ ausgesprochen. Der Geschäftsführende Vorstand der Deutschen Evangelischen Allianz zeigte sich solidarisch mit Diener, distanzierte sich aber von manchen seiner Aussagen zur Homosexualität. Man begegne Vertretern einer anderen geschlechtlichen Orientierung mit Respekt und Würde, sehe allerdings praktizierte Homosexualität – wie andere Formen der außerehelichen Sexualität – grundsätzlich als unvereinbar mit der für den christlichen Glauben maßgebenden biblischen Ethik an.

Parzany für Bekenntnistag 2017

Parzany regte im Zusammenhang mit seiner Kritik an, ein deutschlandweites „Netzwerk Bibel und Bekenntnis“ zu gründen. Er hat für den 23. Januar über 60 Vertreter der evangelikalen Bewegung nach Kassel eingeladen. Etwa doppelt so viele hätten ihm Zustimmung zu seiner Stellungnahme über die Diener-Äußerungen signalisiert. Grundlage für das Gespräch ist ein Memorandum von Parzany. Darin heißt es: „Kontroverse Stellungnahmen zu grundlegenden Fragen des christlichen Glaubens und der Ethik haben in letzter Zeit sichtbar gemacht, dass auch im evangelikalen Bereich unterschiedliche Auffassungen in der Frage bestehen, wie wir uns in den gegenwärtigen Auseinandersetzungen in den evangelischen Kirchen, Gemeinschaften und Freikirchen zu verhalten haben.“ Es stelle sich die Frage „Wo gehen wir hin?“. Wie Parzany auf Anfrage der Evangelischen Nachrichtenagentur idea sagte, soll bei der Zusammenkunft Einmütigkeit hergestellt werden, „wie wir weiter verfahren“. Angedacht sei ein Bekenntnistag im Zusammenhang mit dem 500-jährigen Reformationsjubiläum 2017. Man könne zum Beispiel den seit einigen Jahren am 3. Oktober in Bayern stattfindenden „Christustag“ im kommenden Jahr zu einem zentralen Treffen machen. Zur Vorbereitung könne ein „Netzwerk Bibel und Bekenntnis“ dienen. Hauptziel sei es, „biblische Lehren auf allen Kanälen zu befördern“.

Bibelbund: Keine Relativierung der Bibel!

Auf Distanz zu Diener ging auch der Bibelbund, dessen Freundeskreis nach eigenen Angaben rund 4.000 Evangelikale umfasst. Der Vorsitzende der Organisation, der Theologe Michael Kotsch (Horn-Bad Meinberg), forderte Christen auf, „sich eindeutig von einer weiteren Relativierung der Bibel zu distanzieren“. Evangelikale seien in erster Linie Gott und seiner in der Bibel mitgeteilten Wahrheit verpflichtet und nicht, wie Diener behaupte, der evangelischen Kirche. Sie hätten der Kirche immer dann am besten geholfen, wenn sie die kirchliche Defizite benannt hätten.

Sind Diener-Kritiker „Pietcong“?

Unterstützung erhält der Allianzvorsitzende dagegen vom Betreiber des Blogs „Online mit Gott“, Jens Wätjen (Korntal bei Stuttgart). Diener habe recht mit seiner Forderung, dass sich Evangelikale „auch mal selbstkritisch hinterfragen sollten“. Ihr Auftrag sei es nicht, anderen Menschen ihre Fehler vorzuhalten, sondern Herzen zu gewinnen. Wätjen erinnert daran, dass Kritiker der Pietisten diese in den 60er-Jahren ironisch „Pietcong“ nannten, eine Anspielung auf die damalige vietnamesische Guerilla-Bewegung „Vietcong“, die US-Truppen bekämpfte. Dazu schreibt er: „Der Pietcong ist keine Menschengruppe, sondern eine Einstellung der Sorge, der Angst und der Schuldzuweisung. Der Pietcong darf sich gerne langsam verabschieden. Von mir aus darf er gerne noch etwas klagen und protestieren, weil er einfach getroffen ist.“

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