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Kommentar

Was wird aus der evangelikalen Bewegung?

22.12.2015

Selten hat eine Kontroverse die evangelikale Bewegung so sehr aufgewühlt wie der Streit zwischen dem Vorsitzenden ihres größten Dachverbandes, der Deutschen Evangelischen Allianz, Michael Diener, und dem langjährigen proChrist-Hauptredner, Ulrich Parzany. Manche sprechen schon von einer Diener- und einer Parzany-Allianz. Davon kann zwar keine Rede sein, sind sich doch beide in wesentlichen Fragen einig. Aber es gibt erheblichen Grund dafür, Streitpunkte zu klären, zumal die wichtigste Aktion dieser ersten ökumenischen Bewegung – und das ist die 1846 gegründete Allianz – bevorsteht: die Gebetswoche vom 10. bis 17. Januar. Sie steht für die Einheit der Christen, für die die Heilige Schrift verbindlich für Lehre und Leben ist, die eine persönliche Christusbeziehung pflegen, die Wiederkunft Christi erwarten und missionarisch wie diakonisch tätig sind. Das ist Allianz und das ist evangelikal.

Wo man sich einig ist und wo nicht

Im entscheidenden Punkt sind sich Diener und Parzany einig: Die Bibel ist Gottes Wort. Nicht einig sind sie sich in manchen Konsequenzen. Beispiel Homosexualität. Für beide gibt es in der Bibel keine Stelle, die für eine Segnung homosexueller Paare sprechen könnte. Diener: „Ich habe mehrfach klargemacht, dass ich persönlich eine konservative Einstellung habe, aber die Überzeugung vertrete, dass wir als evangelikale Bewegung auch andere Auslegungen der Heiligen Schrift in dieser Frage stehen lassen sollten.“ Auf die Frage, ob praktizierende Homosexuelle in einer evangelikalen Gemeinde Mitglied oder auch Mitarbeiter sein könnten, antwortete Diener, der im Hauptamt Präses des Evangelischen Gnadauer Gemeinschaftsverbandes ist, in PRO: „Wenn Menschen diese Frage für sich geistlich geklärt haben, und der Meinung sind, dass die biblischen Aussagen über Homosexualität ihre Lebenssituation nicht treffen, dann sollten wir es möglich machen, dass sie bei uns angenommen sind, dass sie bei uns auch mitarbeiten können. Ich habe aber im Kontext der Gemeinschaftsbewegung auch gesagt, dass ich der Überzeugung bin, dass dies bei uns nicht immer umsetzbar ist. Aber mein Wunsch wäre es. Unsere evangelikalen Gemeinden sind an dieser Stelle nicht soweit. Und viele würden sagen, sie dürfen auch nicht soweit kommen. Meine Meinung ist: Wir sollten so weit kommen, dass wir ein anderes Ergebnis aus der Schrift an dieser Stelle nicht gemeindetrennend auffassen.“

Was ist, wenn Homosexualität praktiziert wird?

Diese Position ist freilich geradezu revolutionär in der evangelikalen Bewegung, wobei Diener hier mittlerweile nicht wenige Befürworter hat. Die Mehrheit würde vermutlich noch mit Ulrich Parzany praktizierte Homosexualität als Sünde ablehnen. Mit der Konsequenz: Wer entsprechend lebt, kann weder für seine Lebensweise gesegnet werden, noch Mitarbeiter sein. Auch Parzany will Homosexuelle nicht verdammen. Insofern stand der Artikel über Diener in der „Welt“ unter der unglücklichen Überschrift „Chef der Evangelikalen will ‚Homo-Verdammung‘ stoppen“.

Welche Strategie gilt für die EKD?

Ein weiteres Streitthema ist die Strategie. Michael Diener steht für eine noch engere Zusammenarbeit zwischen Allianz, Gnadauer Verband und der EKD. Deshalb hat er auch für die Leitung der EKD kandidiert, der er jetzt angehört. Er kritisiert die EKD im Blick auf ihre Ablehnung der Judenmission, verteidigt aber die Mitwirkung des EKD-Ratsvorsitzenden, Heinrich Bedford-Strohm, im Kuratorium des Münchener Islam-Zentrums. Ihm geht es um eine versöhnende Sicht „von evangelikaler und liberaler Welt“. Für Parzany gehört stärker als für Diener zur evangelikalen Bewegung, dass falsche Lehre klar verworfen wird: „Wir brauchen den entschiedenen Widerstand gegen die Irrlehren, die in den evangelischen Kirchen z. T. ausdrücklich vertreten und gefördert werden.“

Bitte klären und einigen!

Wenn jetzt nicht bald in der evangelikalen Bewegung eine Klärung erfolgt, würde Parzanys Vorschlag ein deutschlandweites „Netzwerk Bibel und Bekenntnis“ zu gründen faktisch eine Alternative zur Allianz werden können und den Gnadauer Verband mit seinen vielen Gemeinschaften in eine Zerreißprobe stürzen. Möge es nicht dazu kommen.(Der Autor, Helmut Matthies, ist Leiter der Evangelischen Nachrichtenagentur idea (Wetzlar).)

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