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Kommentar

Ist Politik wichtiger als der Glaube?

16.02.2016

Wenn Politiker auf Landes- oder EKD-Synoden Grußworte sprechen, gibt es stets nur Schulterklopfen für das Engagement der Kirchen. Bei SPD und Grünen ist das verständlich, vertreten doch fast alle Landeskirchen politisch weithin ähnliche Positionen wie sie (von den letzten vier EKD-Ratsvorsitzenden gehörten gleich drei zur SPD mit während der Amtszeit ruhender Mitgliedschaft). Dass CDU/CSU-Minister die Kirchen trotzdem auch nur loben, könnte an Diplomatie, Angst vor zu wenig Beifall oder Feigheit liegen. Umso ungewöhnlicher ist, dass jetzt der (zusammen mit Außenminister Steinmeier (SPD)) beliebteste deutsche Politiker, Wolfgang Schäuble (CDU), aus Anlass des 500-jährigen Reformationsjubiläums 2017 in einem kirchlichen Blatt schrieb: „Manchmal … entsteht der Eindruck, es gehe in der evangelischen Kirche primär um Politik, als seien politische Überzeugungen ein festeres Band als der gemeinsame Glaube.“

Wenn Kirche nur über Politik redet

Diese Kritik wird seit Jahrzehnten längst nicht mehr nur von evangelikaler Seite geübt. Doch davon völlig unberührt, findet sie Bestätigung in vielen kirchlichen Äußerungen. Beim kürzlichen Jahresempfang der Evangelischen Akademie Tutzing (gleichzeitig faktisch auch der bayerischen Landeskirche) war fast alles vertreten, was protestantischerseits Rang und Namen in Bayern hat. Welch eine Chance für die Kirche, das, was nur sie zu den entscheidenden Fragen sagen kann, auch zu äußern: wie man mit Schuld, Leid und Tod fertig werden kann, also das Evangelium von Jesus Christus! Stattdessen sprach der bayerische Landesbischof und EKD-Ratsvorsitzende, Heinrich Bedford-Strohm, fast nur über Flüchtlingspolitik. Wie Politiker am Buffet danach zu Recht bemerkten: Das kennen wir alles schon – eben aus der Politik. Bedford-Strohm kann auch fromm reden. Doch warum hat er es ausgerechnet bei dieser Gelegenheit nicht getan?

Ein tiefer werdender Graben durch Deutschland

Und wenn die Kirche unbedingt meint, in einer Demokratie mit zahlreichen Parteien auch noch viel über Politik reden zu müssen, dann sollte sie es nicht einseitig tun. Denn politische Voten führen dazu – so Schäuble weiter –, dass sich Christen mit abweichenden Auffassungen schnell ausgeschlossen fühlten. Ein Beispiel dafür ist die Flüchtlingsdebatte. Über die Hälfte der Deutschen ist laut Umfragen mit der Politik der Bundesregierung hier nicht einverstanden. Der „Spiegel“ titelte deshalb zu Recht: „Ein Graben“ geht durch Deutschland. Und er wird immer tiefer. Die Kirche kritisiert dabei permanent den starken Zuwachs rechtsextremer Attacken, und Konservative kontern: Es hat 2015 mehr linke (965) als rechte (921) Gewalttaten gegeben. Wer bringt nun beide Seiten an einen Tisch? Dies gelang Christen und Kirchen nach dem Fall der Mauer in der DDR mit Vertretern völlig gegensätzlicher Positionen.

Hat Wolfgang Schäuble recht?

Heute würden Bürger, die über die Masseneinwanderung besorgt sind, vermutlich nicht mehr kirchlichen Einladungen folgen – nach allem, was sie von dort an Kritik zu hören bekommen. Da werfen Kirchenrepräsentanten einer Symbolfigur der Opposition in der Flüchtlingsfrage, Frauke Petry, menschenverachtende Aussagen vor, erklären, ihre Partei bestehe aus von Hass getriebenen „Räubern“, und widersprechen nicht einmal, wenn ein CDU-Politiker sie als „geisteskrank“ bezeichnet. Haben konservative Christen – wie Frau Petry – keinen Anspruch auf Menschenwürde? Es wäre eine Aufgabe der Kirche, zum „Brückenbau“ über den Graben, ja wenn möglich sogar zur Versöhnung beizutragen. Warum tut sie es nicht? Hat Schäuble also recht, wenn er schreibt, manchmal seien die politischen Überzeugungen in der evangelischen Kirche „ein festeres Band als der gemeinsame Glaube“?(Der Autor, Helmut Matthies, ist Leiter der Evangelischen Nachrichtenagentur idea (Wetzlar).)

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